Amnesty International Indonesien – Pressemitteilung
14. Februar 2018 - Nachdem sie ihre Arbeit verloren und zudem verbale und körperliche Gewalt durch Familienmitglieder und die Öffentlichkeit erfahren haben, sind einige der Betroffenen an einen geheimen Ort in der Nähe von Aceh geflüchtet. Amnesty International Indonesien hat sie dort interviewt.
Sie berichteten detailliert von den schrecklichen Erlebnissen am 27. Januar, als die Polizei die Schönheitssalons, in denen sie arbeiteten, durchsuchte, sie öffentlich bloßstellte, sie getreten und geschlagen wurden und ihnen ihre Haare abgeschnitten wurden, um "alle Transpersonen aus Aceh zu vertreiben".
"Diese Transfrauen wurden nicht nur von der Polizei verhaftet und misshandelt, nur weil sie sind, wer sie sind - manche von ihnen befinden sich auch jetzt noch in einer akuten Notsituation, weil sie ihre Lebensgrundlage verloren haben und von Zuhause fliehen mussten. Hier handelt es sich um ein massives Versagen der indonesischen Behörden, die die Menschenrechte der Frauen garantieren müssen", so Usman Hamid, Leiter von Amnesty International Indonesien.
"Örtliche Behörden und gewöhnliche Bürger haben sich im Namen der Scharia zusammengetan, um die Transfrauen anzugreifen und zu erniedrigen. Wir sind der Meinung, dass das Vorgehen der Polizei nach internationalem Recht als Folter gelten muss. Die Verantwortlichen müssen sich einer Untersuchung unterziehen und zur Rechenschaft gezogen werden. Dasselbe gilt für die Polizeibeamten von Nord-Aceh, die im Zuge eines 'Kriegs gegen Trans-Personen' die Razzien durchgeführt haben."
"Präsident Joko Widodo muss die Nationale Polizei anweisen, der Polizei von Nord-Aceh zu befehlen, Trans-Personen nicht mehr anzugreifen, sondern sie zu schützen, wenn diese vor Ort bedroht oder eingeschüchtert werden. Außerdem müssen sie dringend gemeinsam mit anderen Behörden Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass die 12 Betroffenen unverzüglich den nötigen Schutz erhalten und gefahrlos zu ihren Wohnungen und Arbeitsstellen zurückkehren können."
Ein Leben in Angst
Die Betroffenen sind von den Ereignissen während der Durchsuchung zutiefst traumatisiert und haben mit Amnesty International unter Zusicherung ihrer Anonymität gesprochen. Manche von ihnen befinden sich derzeit auf der Flucht. Sie sind auf der Suche nach einem sichereren Ort in Indonesien, da sie in ständiger Angst vor Festnahmen durch die Polizei leben.
Einige Frauen wurden nach der Razzia von Nachbarn und Familienmitgliedern eingeschüchtert, eine der Betroffenen wurde mehrere Tage nach der Durchsuchung sogar getreten und mit einem Stein beworfen. Dazu kommt, dass sie nicht mehr in der Lage sind, ihre Familienmitglieder finanziell zu unterstützen, da sie wegen der Durchsuchung ihre Arbeit verloren haben.
Einige Betroffene sind in Aceh geblieben und haben keine andere Möglichkeit gesehen, als in die Forderungen der Polizei einzuwilligen und "sich wie Männer zu verhalten". Sie haben jedoch Schwierigkeiten, eine Arbeitsstelle zu finden, da die Menschen seit der Razzia Bedenken haben, sie einzustellen.
Stundenlange Demütigungen
Die Betroffenen berichteten Amnesty International detailliert von den Ereignissen am 27. Januar, als sie "Bestrafungen" durch die Polizei über sich ergehen lassen mussten, die nach internationalem Recht als grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung und möglicherweise als Folter gelten. Die Polizei durchsuchte fünf Schönheitssalons in Nord-Aceh und nahm dort Transfrauen fest. Dies geschah laut Aussage der Polizei von Nord-Aceh im Zuge eines "Programms, um Aceh von Transfrauen zu säubern". Dieser "Krieg" wird offenbar von einigen Provinzbewohner_innen und Geistlichen unterstützt.
Während der Durchsuchungen hetzte der Polizeichef von Nord-Aceh in einer Rede gegen Transfrauen. Anwesende applaudierten und riefen: "Werft sie raus [aus Aceh]. Verbrennt sie einfach. Bringt [sie] einfach um." Die Polizei legte einer der 12 Personen sogar Handschellen an.
Im Anschluss an die Razzien am 27. Januar ließ der Polizeichef von Nord-Aceh die 12 Betroffenen um 11 Uhr nachts in sein Büro bringen. Dort ordnete die Polizei eine erniedrigende Prozession zu einem nahegelegenen Park an. Die Polizeibeamten schrien dabei die Frauen an.
Im Beisein vieler Menschen, die im Park zusammengekommen waren, um Zeugen der Demütigung zu werden, zwang die Polizei die 12 Personen zu einer Art militärischen Übung. Mit dem vorgeblichen Ziel, sie "männlicher" zu machen, wurde den Frauen befohlen, sich im Park auf dem Boden zu wälzen. Als eine der Transfrauen sich weigerte, feuerte der Polizeichef von Nord-Aceh einen Warnschuss ab, um sie und die anderen einzuschüchtern. Später schüttete ein Polizeibeamter einer der 12 Betroffenen Wasser ins Gesicht, weil sie gegen die unmenschliche Behandlung protestiert hatte.
Die Polizei zwang die Frauen, sich bis auf die Hosen auszuziehen. Eine der Frauen verweigerte den Befehl mit den Worten: "Erschießt mich einfach. Das ist eine Frage der Würde." Darauf antwortete der Polizeichef: "Als Trans-Person hast du nicht das Recht auf Würde." Später schnitt ein Polizeibeamter sechs Betroffenen gewaltsam die Haare ab, um sie "männlich aussehen" zu lassen. Die Betroffenen wurden später im Beisein von Schaulustigen aufgefordert, für einen Drogentest in eine Flasche zu urinieren. Sie weigerten sich jedoch.
Die Polizei wies eine der 12 Betroffenen an, die Köper und das Haar der anderen mit einem Wasserschlauch zu reinigen. Im weiteren Verlauf wurde sie vom Polizeichef von Nord-Aceh getreten, weil sie die anderen angeblich nicht richtig gewaschen habe. Außerdem befahl der Polizeichef den 12 Betroffenen "wie ein Mann" zu schreien. Er schlug einer der Betroffenen mit einer Sandale ins Gesicht, weil sie nicht "wie ein Mann" schreien konnte. Später schlug ein anderer Polizeibeamter derselben Betroffenen mit einer Sandale auf die Ohren und den Mund, wodurch ihre Lippen aufplatzten.
Nachdem die Frauen zwei Stunden lang gedemütigt wurden, befahl die Polizei ihnen, sich erst auf den Boden zu setzen und dann nachts um 1 Uhr zu den Arrestzellen zu gehen. Sie wurden gezwungen, in ihren nassen Hosen auf dem kalten Boden ohne Matratzen zu schlafen.
Am Nachmittag des 28. Januar ließ die Polizei 11 der Betroffenen frei, jedoch erst nachdem sie sie gezwungen hatte, die Predigt eines muslimischen Geistlichen anzuhören, der sie aufforderte, zu "ihrer Natur" zurückzukehren, und argumentierte, es sei "in Ordnung, Trans- und andere LGBTI-Personen zu töten, weil diese schlimmer als kafir [Ungläubige]" seien. Der Geistliche behauptete auch, dass "Aceh wegen [der Sünden] der Trans-Personen von einem Tsunami [2004] heimgesucht worden sei" und dass niemand sie nach ihrem Tod versorgen und für sie beten würde, wenn sie sich nicht änderten.
Eine der Transfrauen blieb bis zum 29. Januar in Polizeigewahrsam, nachdem die Polizei ein Video mit explizit sexuellem Inhalt auf ihrem Mobiltelefon gefunden hatte. Vor der Freilassung befahl die Polizei allen 12 Betroffenen, ein Dokument blind zu unterschreiben. Es handelte sich um eine Einwilligungserklärung, sich in Zukunft nicht "wie Frauen" zu verhalten und sich nicht über polizeiliches Fehlverhalten zu beschweren.
Staatliche Reaktionen
Die Razzia fand vor dem Hintergrund wachsender Ressentiments gegen LGBTI in Aceh statt. Anstatt den Betroffenen Unterstützung anzubieten, äußerte der Gouverneur von Aceh, Irwandi Yusuf, öffentlich, dass er das polizeiliche Vorgehen gegen Transfrauen unterstütze. Bei einer Kundgebung gegen LGBTI am 2. Februar sagte der Gouverneur außerdem: "Wir hassen Lesben, Schwule und Bisexuelle nicht [als Menschen], aber wir hassen ihr Verhalten."
Obwohl gegen den Polizeichef von Nord-Aceh derzeit wegen der mutmaßlichen Misshandlung der Transfrauen intern ermittelt wird, schloss sich der Sprecher derselben Provinzpolizei der Anti-LGBTI Kundgebung an und bekundete dort seine Unterstützung für die Razzia.
"Die schreckliche Behandlung und die Erniedrigungen von Trans-Personen verstossen klar gegen das allgemeine Verbot von Folter und Misshandlungen. Verschärfend kommt hinzu, dass die Taten von der örtlichen Polizei begangen und von Geistlichen gerechtfertigt wurden. Es ist abstoßend, dass eine Gruppe von schwer bewaffneten Polizeibeamten Transfrauen durchsucht und festnimmt - aus keinem anderen Grund als purem Hass", sagte Usman Hamid.
"Die erschütternden Berichte dieser Frauen müssen ein Weckruf für die indonesischen Behörden und Menschen überall sein. Die Menschenrechte aller Indonesierinnen und Indonesier - unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität - müssen gleichermaßen respektiert und geschützt werden."
"Präsident Joko Widodo muss die Stellungnahme des Gouverneurs öffentlich rügen und unmissverständlich klarstellen, dass solche Einstellungen nicht toleriert werden."