Im ecuadorianischen Marienwallfahrtsort "Santuario de la Virgen del Rocio" entfernt ein Arbeiter die Statue
Im ecuadorianischen Marienwallfahrtsort "Santuario de la Virgen del Rocio" entfernt ein Arbeiter die Statue, © Rupert Haag

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In Ecuador gibt es mehr als 200 Kliniken, in denen Homosexuelle »geheilt« werden sollen. Sie gleichen Gefängnissen, doch der Staat lässt die Betreiber gewähren.

Von Margit Roth, Quito

José packte vor dem Schlafengehen seine Reisetasche. Er wollte am nächsten Morgen wieder nach Mexiko, zurück an die Uni, als plötzlich fünf Männer in sein Zimmer stürmten. Sie waren groß, stark und trugen schwarze Masken. Sie überwältigten ihn und zerrten ihn nur mit einer Unterhose bekleidet zu einem Auto.
José war damals 19 Jahre alt und seit sieben Monaten mit Oliver
zusammen.

Der Auftrag für die Entführung kam nicht etwa von einer kriminellen Vereinigung, sondern von seinem Vater, einem angesehenen Mann der ecuadorianischen Gesellschaft. So erzählt es Oliver heute.

Seinen ganzen Namen will er nicht veröffentlicht wissen, weil das in Ecuador gefährlich ist: »Hier kannst du Drogen nehmen oder kriminell sein, aber du darfst auf keinen Fall schwul sein.«

Schwule, Lesben und Transgeschlechtliche leben in Ecuador in zwei Welten: Es gibt das Gesetz – und es gibt die gesellschaftliche Realität in dem streng katholischen Land. Laut Gesetz ist Ecuador ein liberaler Staat: Seit 1997 ist Homosexualität straffrei. Zuvor drohten für gleichgeschlechtlichen Sex bis zu acht Monate Gefängnis. 1998 verabschiedete das Parlament in Quito ein Antidiskriminierungsgesetz, das Schwule, Lesben und Transgeschlechtliche schützen soll. Seit 2008 können sich schwule und lesbische Paare sogar verpartnern.

Tatsächlich kann von einer Gleichstellung jedoch keine Rede sein. Viele Konservative in Ecuador halten davon gar nichts. Selbst Ex-Präsident Rafael Correa betont, dass es sich keineswegs um eine »echte« Ehe handele und Adoptionen unter keinen Umständen erlaubt werden dürften. Er brachte das Antidiskriminierungsgesetz zwar mit auf den Weg, gibt jedoch unterschwellig all denen Recht, die davon überzeugt sind, dass Schwule pädophil sind und Kinder vor Homosexuellen geschützt werden müssen.

In Ecuador werden Schwule, Lesben und Transgeschlechtliche aber nicht nur diffamiert, sondern auch gefoltert. Und zwar in den etwa 200 Suchtkliniken, die von den Kirchen betrieben werden, denn in Ecuador fallen unter Suchterkrankungen neben Alkohol- und Drogenabhängigkeit auch Homo- und Transsexualität. Bei Homosexuellen wenden die Kliniken häufig die sogenannte Konversionstherapie an. Diese »Umkehrung« ist für die Betreiber ein lukratives Geschäft. Eltern zahlen zwischen 800 und 1.200 Dollar im Monat, um ihre Kinder auf den »rechten Weg Gottes« bringen zu lassen.

In eine solche Suchtklinik im Valle de los Chillos in der Nähe von Quito wurde José von seinen Entführern gebracht. Das Gebäude in den Bergen ist von einer hohen weißen Mauer mit Stacheldraht umgeben. Niemand kommt hier unerlaubt rein oder raus. Läutet man an der Glocke, öffnet sich ein kleines Guckloch. In der Klinik hängen Kreuze und Heiligenmotive an den Wänden, aber tatsächlich ist sie ein Gefängnis mit vergitterten Fenstern. Eine Heizung gibt es nicht, obwohl es nachts in den Bergen bitterkalt ist.

Die ersten Wochen musste José in einem Einzelzimmer verbringen, isoliert von den anderen Patienten. Er wurde nachts immer wieder geweckt und systematisch am Schlafen gehindert. Erst als sein Widerstand gebrochen schien, durfte er in ein
Zweibettzimmer umziehen.

Die Tage in der Klinik sind klar strukturiert. Um 6 Uhr morgens müssen alle aufstehen und im Gruppenraum eine Stunde beten. Danach bereiten die Patienten das Frühstück zu, später spülen sie das Geschirr. Sie waschen auch ihre Wäsche und schrubben die Böden. Stundenlang. Aus »therapeutischen Gründen«, wie es heißt.

Dreimal am Tag finden Gruppensitzungen statt. Im Therapieraum sind Stühle in einem Kreis aufgestellt. Die Sitzung beginnt mit einem Gebet. Dann wird ein Patient ausgewählt, der sich auf einen Stuhl in der Mitte setzen muss. »Widerstehe dem Teufel, bekenne Deine Sünden, Gott ist Dein Retter«, rufen die »Therapeuten«. Sie schreien und flüstern, manchmal schlagen sie auch zu.

Renitente Patienten werden bestraft. Im Hof steht ein Becken, randvoll gefüllt mit eiskaltem Wasser. Wer sich widersetzt, kommt nackt in dieses Becken. Erst nach endlosen Minuten werden die Frierenden aus dem Becken geholt und mit Ästen eines speziellen Strauchs ausgepeitscht. Der »Giftefeu« brennt wie Feuer auf der Haut.

Die Gewalt, die lesbische Frauen erfahren, geht noch einen Schritt weiter. Sie müssen sich bis ins Clowneske schminken, dürfen nur Röcke und Blusen tragen. Und sie werden von den Aufsehern vergewaltigt. Nur durch heterosexuellen Geschlechtsverkehr, so die Vorstellung der Konversionstherapie, können sie von ihrer »Perversion« geheilt werden.

Die ecuadorianische Fotografin Paola Paredes hat mit vielen Frauen gesprochen, die Monate und Jahre in solchen Kliniken verbrachten. Sie erzählten, dass sie manchmal K.-o.-Tropfen bekamen, um sich an die Details ihrer Vergewaltigungen nicht erinnern zu können. Die Spuren an ihrem Körper ließen aber keinen Zweifel, was geschehen war: eingerissene, blutende Geschlechtsorgane, Blutergüsse am ganzen Körper, Sperma. Andere erzählten, dass sie bei Vergewaltigungen anderer Frauen zuschauen mussten, ohne eingreifen zu können.

Die Vergewaltigungen werden nicht von den sogenannten Therapeuten, sondern von Aufsehern durchgeführt. Dabei handelt es sich häufig um Kriminelle, die zum Teil wegen Körperverletzung verurteilt wurden und sich aufgrund des Konzepts
»Arbeit statt Strafe« in der Klinik befinden: Durch die »Arbeit« hier können sie eine Gefängnisstrafe umgehen.

Nach einigen Wochen gelang es Oliver, herauszufinden, wohin sein Freund José verschleppt worden war. Es dauerte noch Monate, bis er mit Hilfe einer Staatsanwältin Josés Freilassung durchsetzen konnte. Vor Strafverfolgung müssen sich die Klinikbetreiber nicht fürchten, denn kein Gericht in Ecuador würde sie für ihre »Suchttherapie« verurteilen.

José und Oliver gingen kurze Zeit später nach Australien. Das Trauma lässt sich aber auch in der Ferne nicht einfach abstreifen. José schreit nachts, er erträgt keine geschlossenen Räume und rastet häufig aus.

Seine Symptome sind typisch für eine posttraumatische Belastungsstörung. Die Flashbacks, die Angst und das tiefe Misstrauen gegenüber anderen Menschen bedürfen einer Therapie. In Quito gibt es dafür die Psychologen der Organisation
Red Psicologia Diversidades LGBTI. Der Verein wurde von schwulen und lesbischen Psychotherapeuten gegründet, um Opfern der Konversionstherapie beizustehen.

José konnte diese Hilfe jedoch nicht annehmen. Sein Misstrauen gegenüber Therapeuten ist nach wie vor groß, trotz Albträumen und Panikattacken. Doch den Behörden in Australien gilt das nicht unbedingt als Asylgrund. Denn Ecuador ist, zumindest auf dem Papier, ein liberales Land. Diskriminierung von Homo- und Transgeschlechtlichen gibt es dort offiziell nicht – und damit gibt es für andere Länder auch keinen Grund, Menschen wie José Asyl zu gewähren.

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