9. Beenden Sie Einschüchterung, Angriffe und Diskriminierung gegen LGBTI
In den letzten Jahren nahmen Schikanieren, Einschüchterung, Angriffe und Diskriminierung gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intergeschlechtliche (LGBTI) in Indonesien zu, nachdem mehrere Beamt_innen im Januar 2016 im Hinblick auf die "Verteidigung der öffentlichen Moral und Sicherheit des Landes" hetzerische, ungenaue oder irreführende Aussagen machten.
Die Diskriminierung, Bedrohung, Einschüchterung, Akte von Selbstjustiz und weitere Schikanierung von Individuen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität sind sowohl von staatlichen als auch nichtstaatlichen Akteur_innen begangen worden. Vor 2016 waren LGBTI-Menschen in Indonesien bereits in vielen Bereichen ihres Lebens Diskriminierung und sozialem Stigma ausgesetzt, unter anderem bei der Wahrnehmung bürgerlicher und politischer sowie wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte. Seit Anfang 2016 gibt es jedoch mehr abgestimmte und beständige Initiativen von Politiker_innen, um LGBTI in Indonesien unter dem Vorwand zu marginalisieren, dass sie die ausgelegten Lehren der von den Bewohner_innen Indonesiens angenommenen Religionen verletzen, dass sie an einer psychischen Erkrankung leiden und daher geheilt werden sollten, um "normal" zu werden.
LGBTI, die sich weitgehend selbst organisieren, können Gewalt gegen sie der Strafverfolgung melden und können mit Unterstützung anderer Akteur_innen der Zivilgesellschaft in gewissem Umfang Abhilfe schaffen. Ein Beispiel dafür ist die erzwungene Schließung der Al Fatah Islamic School (Pesantren) für Transfrauen in Yogyakarta durch die Islamic Jihadist Front (FPI). Mit der Unterstützung von Akteur_innen der Zivilgesellschaft, einschließlich der Rechtshilfe von Yogyakarta, wurden die Transfrauen zur örtlichen Polizeibehörde evakuiert und die Pesantren konnte wiedereröffnet werden.
Bei verschiedenen Vorfällen in den letzten Jahren nach den aufsehenerregenden Äußerungen von Amtsträger_innen mussten LGBTI-Menschen zahlreiche Menschenrechtsverletzungen erleiden, einschließlich der Einschränkung ihrer Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Verlust ihrer Arbeit, sozialen Sicherheit und des Rechts auf Gesundheit sowie Folter oder andere Misshandlungen durch Beamt_innen der Strafverfolgungsbehörden. Inzwischen sind die Verdächtigen der Verbrechen gegen LGBTI nahezu ungestraft. Es ist nicht bekannt, ob LGBTI-Individuen, die nicht organisiert sind, versucht haben, sich bei den Behörden zu melden, wenn sie aufgrund ihrer sexuellen Identität oder ihrer Ausrichtung angegriffen werden, obwohl dies aufgrund der Stigmatisierung, die sie erleiden, und der vom Staat gestützten Gewalt gegen sie höchst unwahrscheinlich ist.
LGBTI-Menschen in Aceh erleben das Schlimmste bei der sich allgemein verschlechternden Situation gegen LGBTI in Indonesien. Die Provinz Aceh genießt in Indonesien einen besonderen Autonomiestatus und ist gesetzlich befugt, ein eigenes regionales Statutensystem auf der Grundlage des Gesetzes der Scharia aufzubauen. Eine Reihe der Statuten diskriminiert LGBTI- Menschen. Das Statut mit der schlimmsten Auswirkung ist das Islamische Aceh Strafgesetzbuch (Qanun Jinayat). Qanun Jinayat wurde im Oktober 2014 verabschiedet und wurde in der ganzen Provinz im Oktober 2015 in Kraft gesetzt. Eine Reihe der Rechtsvorschriften der Statuten kriminalisieren gleichgeschlechtliche Beziehungen mit einer Strafe von bis zu 100 Monaten Gefängnis oder 100 Stockschlägen. Im Mai 2017 wurden zum ersten Mal zwei Männer je 83 Mal öffentlich mit einem Stock geschlagen, nachdem sie vom Banda Aceh Shari'a Gericht wegen einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher sexueller Beziehungen zwischen Männern (liwath) gemäß dem islamischen Strafgesetzbuch von Aceh verurteilt worden waren.
Einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen sind keine Verbrechen nach dem indonesischen Strafgesetzbuch. Es gibt jedoch einige andere Statuten außerhalb der Provinz Aceh - die von Behörden auf Distrikt- oder Provinzebene erlassen wurden -, die einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen verbieten und kriminalisieren. Diese Verordnungen verstoßen eindeutig gegen das regionale Autonomierecht (Nr. 32/2004 und Nr. 23/2014) des Landes, wonach indonesische Regionen nicht vom nationalen Strafjustizsystem abweichen dürfen. Im Dezember 2017 lehnte das Verfassungsgericht eine gerichtliche Überprüfung ab, die von einigen Wissenschaftler_innen vorgelegt wurde, die die Neuinterpretation des Strafgesetzes im Hinblick auf Ehebruch vorschlugen mit Einschluss der Kriminalisierung einvernehmlicher sexueller Beziehungen. Das Verfassungsgericht lehnte die Petition nicht aus Gründen der Diskriminierung ab, sondern unter anderem deshalb, weil das Gericht argumentierte, dass es nicht die Befugnis des Parlaments zur Ausweitung einer neuen Straftat habe. Angriffe auf LGBTI in Aceh gehen über die Umsetzung des islamischen Strafgesetzbuches hinaus. Am Samstag, dem 27. Januar 2018, stürmte die örtliche Polizei von Nord Aceh in Lhoksukon, Provinz Aceh, Indonesien, fünf Schönheitssalons, einen gemeinsamen Arbeitsplatz für Transfrauen, und verhaftete 12 Menschen, die vermutlich Transfrauen waren. Die Polizei unterzog sie dann "Bestrafungen", indem sie sie zwang, im Park auf dem Boden herumzurollen und sich die Haare zu schneiden - anscheinend, um sie "männlicher" zu machen.
Die Polizist_innen brüllten sie an und traten ihnen in den Rücken, wobei sie Anweisungen gaben. Sie zwangen sie auch, sich auszuziehen, und so waren sie halbnackt. Nachdem sie sie zwei Stunden lang vor den im Park versammelten Menschen erniedrigt hatten, brachte die Polizei die zwölf Personen zur Polizeistation und zwang sie, in ihren nassen Shorts ohne Matratzen auf dem kalten Boden zu schlafen. Bevor die Polizei sie am Nachmittag des 28. Januar ohne Anklageerhebung freigelassen hatte, lud sie einen muslimischen Geistlichen ein, den Opfern eine Predigt zu halten. Der Kleriker sagte ihnen, dass es aufgrund der "Natur einer Transgender-Person" gut sei, "eine Transgender-Person oder andere LGBTI zu töten" und dass "sie böser seien als ein Kafir (Ungläubiger)". Die Polizei ließ auch alle 12 Personen ein Dokument unterschreiben, das sie nicht lesen durften, und das später als eine "Vereinbarung, nicht wie Frauen zu handeln" und sich nicht über polizeiliches Fehlverhalten zu beschweren gelten sollte. Als Folge der Razzia wurde ein Klima der Angst geschaffen, in dem nicht nur die 12 Personen, sondern auch andere Transfrauen, die an anderen Orten in der Provinz Aceh Schönheitssalons betrieben, ihre Salons für einen Monat oder länger schlossen. Einige zogen vorübergehend in benachbarte Provinzen, um nicht die nächsten Ziele zu sein. Der Überfall und die darauffolgenden Folter- und Misshandlungen wurden zu wichtigen Nachrichten in Indonesien, und Medienberichten zufolge wurde als Reaktion eine interne Untersuchung der regionalen Polizei von Aceh eingeleitet. Das Ergebnis wurde jedoch nicht von der Presse berichtet. Amnesty International ersuchte daher die Öffentlichkeitsarbeit der Polizeibehörde um Informationen über den Fortschritt und das Ergebnis der Ermittlungen. In der Antwort der Polizei wurde angegeben, dass drei Polizeibeamt_innen, einschließlich des damaligen Polizeichefs von Nord Aceh, wegen Verstoßes gegen den Ethik-Kodex der Polizei disziplinarische Bestrafung erhalten. Niemand von der Polizei wurde wegen Folter und anderer Misshandlungen der zwölf Personen vor Gericht gebracht. Der Polizeichef von Nord Aceh, der die mutmaßlichen Folter- und Misshandlungshandlungen angeordnet und begangen hatte, wurde von seinem Posten entfernt und in eine andere Provinz entlassen. In der Provinz Aceh wurde die anti-LGBTI-Gesetzgebung mit der Kriminalisierung einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher Beziehungen gemäß dem islamischen Strafgesetzbuch erweitert, um andere kritische Aspekte des Lebens von LGBTI durch verschiedene Statuten in verschiedenen Bezirken zu beschränken - einschließlich derer, die das Recht auf Arbeit beeinträchtigen. In den Distrikten Bireun und Aceh Besar zum Beispiel erteilten die beiden Distriktbeamt_innen (Bupatis) Anweisungen, wonach die Inhaber_innen von Schönheitssalons oder Coffeeshops keine LGBT-Arbeitende beschäftigen dürfen. Diese Statuten werden zwar in der Praxis nicht strikt von den örtlichen Behörden durchgesetzt, sie tragen jedoch bei zur Schaffung einer Umgebung von Angst und Verfolgung von LGBTI in der Provinz.
Empfehlungen an die neue indonesische Regierung und das neue Parlament bis zur vollständigen Abschaffung der Todesstrafe sind folgende:
- Respektieren Sie die internationalen Menschenrechtsverpflichtungen Indonesiens und verhindern, untersuchen und beseitigen Sie Transphobie, Homophobie, geschlechtsspezifische Gewalt und Kriminalisierung von Individuen aufgrund des Ausdrucks ihrer Geschlechtszugehörigkeit, ihrer Identität oder ihrer sexuellen Ausrichtung. Dies schließt ein die Aufhebung von Gesetzen und Bestimmungen der systemischen Diskriminierung gegen sie und setzen Sie die Gesetze durch, die ihre Rechte schützen, respektieren und erfüllen;
- Verurteilen Sie öffentlich Angriffe auf LGBTI-Menschen und stellen Sie klar, dass diese Gewalt eine Straftat darstellt und nicht toleriert wird. Das anhaltende Schweigen sendet nur eine alarmierende Nachricht aus, dass solche Angriffe und Schikane von der Regierung toleriert werden, was den Weg für eine weitere Diskriminierung von LGBTI-Einzelpersonen, Aktivist_innen und Organisationen ebnet.
- Stellen Sie sicher, dass niemand in einer Behörde eine öffentliche Erklärung oder Anordnung abgibt, die vernünftigerweise als Erlaubnis zur Diskriminierung oder als Angriff einer Person aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Identität ausgelegt werden könnte.
- Stellen Sie sicher, dass gründliche und unparteiische Ermittlungen über Angriffe und Drohungen gegen Einzelpersonen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität durchgeführt werden und dass Personen, die in diesem Zusammenhang vernünftigerweise eines Verbrechens verdächtigt werden, im Einklang mit den internationalen Menschenrechtsgesetzen und -standards verfolgt werden. Die Behörden müssen auch handeln, um LGBTI, die in ihrem Leben und ihrer Sicherheit bedroht sind, einen wirksamen Schutz zu bieten.
- Heben Sie alle Gesetze auf, die einvernehmliche gleichgeschlechtliche Aktivitäten unter Strafe stellen, die gegen die internationalen Menschenrechtsgesetze und -standards verstoßen.