AMNESTY INTERNATIONAL – Pressemeldung
"Targeted by hatred, forgotten by law" zeigt auf, wie der Staat ganze Gruppen, einschließlich Obdachloser, Menschen mit Behinderungen und die LSBTI Community, bei seiner Gesetzgebung gegen Hassverbrechen ausgeschlossen hat.
"Polen hat ein zweistufiges Rechtssystem, in dem manche Minderheiten geschützt werden, aber andere sich selbst überlassen werden. Wenn Sie in Polen lesbisch oder schwul sind, eine Person mit Behinderung oder obdachlos sind und deshalb Opfer eines Übergriffs werden, wird die Polizei das wie eine gewöhnliche Straftat und nicht als Hassverbrechen behandeln - und diese gefährliche Schutzlücke muss unverzüglich geschlossen werden", sagte Marco Perolini, Experte für Diskriminierung in Europa und Zentralasien für Amnesty International.
Die LSBTI Community in Polen ist überall mit weitverbreiteter und tief verwurzelter Diskriminierung konfrontiert. Obwohl es keine zuverlässigen offiziellen Statistiken gibt, hat "Campaign against Homophobia", eine große polnische LSBTI Organisation, mindesten 120 homophobe oder transphobe Hassverbrechen allein 2014 verzeichnet, wobei davon ausgegangen wird, dass die tatsächlichen Zahlen sehr viel höher sind.
In der Stadt Szczecin leben Mitglieder der LSBTI Community in Angst, seitdem ein 24-jähriger schwuler Mann nach dem Besuch eines Schwulen Clubs im Januar 2014 brutal zu Tode geprügelt wurde. Seine Leiche wurde an einer nahegelegenen Baustelle gefunden, sein Geseicht war von Blutergüssen überzogen und seine Hose wurde ihm ausgezogen - die mutmaßliche Todesursache war Ertrinken, da sein Gesicht wiederholt in eine Pfütze gedrückt wurde.
Die Behörden haben die Möglichkeit ignoriert, dass dieser Mord von Homophobie motiviert war und das Gericht hat den Übergriff bei der Verurteilung der beiden verantwortlichen Männer als ein gewöhnliches Verbrechen behandelt.
Im Mai 2015, wurde in Zywiec der Anti-Nazi-Aktivist und Straßenkünstler Dariusz vor einem seiner Wandgemälde, auf dem ein Regenbogen abgebildet war, getreten und bespuckt, und dabei als "Schwuchtelhure" beschimpft. In der schriftlichen Urteilsbegründung wurden die Beleidigungen jedoch lediglich als "vulgär" bezeichnet, ohne dass das homophobe Motiv erwähnt wurde.
Polen hat in den letzten Jahren auch eine Reihe von brutalen Angriffen auf Obdachlose erlebt. Doch obwohl einige der Angriffe zumindest teilweise durch den sozioökonomischen Status der Opfer motiviert waren, wurden sie von der Polizei als gewöhnliche Straftaten behandelt.
Stanislaw, ein Obdachloser aus Rzeszów, wurde im Oktober 2012 verprügelt und angezündet. Obwohl die Täter zugegeben haben, dass sie in der Vergangenheit auch schon andere Obdachlose aus "Langeweile" angegriffen hatten, spiegelte ihr Strafmaß nicht die Schwere des Motivs wieder.
"Polen hat einige lobenswerte Schritte ergriffen, um Hassverbrechen mit rassistischen und fremdenfeindlichen Hintergründen zu bekämpfen. Aber es ist nicht hinzunehmen, dass andere Minderheiten, die mit derselben tagtäglichen Angst und denselben Übergriffen leben müssen, nicht die gleiche Aufmerksamkeit bekommen", sagte Marco Perolini.
"Polen ist nach internationalem Recht dazu verpflichtet, sicherzustellen, dass allen Minderheiten der gleiche Schutz vor Diskriminierung zukommt. Die Tatsache, dass die Behörden dieser Verpflichtung nicht nachkommen, stellt an sich eine Diskriminierung dar."
Die Schutzlücke bedeutet, dass es keine institutionalisierten Mechanismen gibt - wie beispielsweise spezialisierte Staatsanwält_innen oder Polizeikoordinator_innen - die sich mit Angriffen beschäftigen, die im Zusammenhang mit Diskriminierungen aufgrund einer Behinderung, der sexuellen Orientierung, geschlechtlicher Identität oder dem sozialen und ökonomischen Status stehen. Ebenso gibt es keinerlei Bemühungen, effektive Strategien zur Verhinderung von solchen Hassverbrechen zu entwickeln, alle Vorfälle zu untersuchen und die Verantwortlichen strafrechtlich zu verfolgen.
In Polen fehlt es an einer systematischen, staatlichen Erhebung von Daten von Angriffen auf diese Gruppen, was bedeutet, dass die Behörden das Ausmaß des Problems überhaupt nicht erfassen können.
Jegliche Bemühungen, das Strafrecht zu reformieren, wurden verzögert, obwohl seit 2012 ein Gesetzesentwurf auf dem Tisch liegt, um LSBTI Personen, Menschen mit Behinderungen oder ältere Menschen vor Hassverbrechen zu schützen. Einige Teile der polnischen Gesellschaft reagierten auf diesen Vorschlag mit wutentbranntem Widerstand, ein Parlamentarier hat den Vorschlag 2015 als einen Versuch bezeichnet, "kranke Ideologien von Gender einzuführen, die sexuelle Abartigkeiten fördern".
Es ist wahrscheinlich, dass dieses Thema auch im Vorfeld der Parlamentswahlen am 25. Oktober dieses Jahres umstritten bleibt.
"Polen muss endlich konkrete Schritte unternehmen, um sicherzustellen, dass alle Minderheiten im Land in gleicher Weise vom Recht geschützt werden. Die nächste Regierung und das Parlament müssen Menschenrechte zu einer Priorität machen und als oberster Punkt auf dieser Liste sollte das Ende jeglicher Diskriminierung stehen. Niemand in Polen sollte in Angst vor gewalttätigen Angriffen leben müssen, nur weil sie sind, wer sie sind", sagte Marco Perolini.