AMNESTY INTERNATIONAL – ÖFFENTLICHE STELLUNGNAHME
AI Index: MDE 30/7143/2017
21 September 2017
Amnesty International begrüßt die Einrichtung eines nationalen Präventionsmechanismus und fordert Tunesien auf, seine Unabhängigkeit zu stärken.
Die Organisation hat immer wieder Bedenken gegen Tunesien wegen der Straflosigkeit bei Foltervorwürfen erhoben, da seit 2011 keine einzige Strafverfolgung gegen einen der Folter angeklagten Sicherheitsbeamten erfolgt ist. Sie begrüßt die Annahme von Empfehlungen, um die Bemühungen zur Verhinderung von Folter und Misshandlung zu verstärken und die Verantwortlichkeit für solche Verbrechen durch unabhängige und wirksame Ermittlungen bei Folter- und Strafverfolgungsurteilen sowie bei der Verurteilung von Tätern zu gewährleisten.
Amnesty International ist ermutigt durch Tunesiens Annahme von Empfehlungen zur Stärkung der Reform des Sicherheitssektors und der Gewährleistung, dass in der Terrorismusbekämpfung die Menschenrechte geachtet werden. Die Organisation ist jedoch zutiefst besorgt über die von der Regierung eingebrachte Gesetzesvorlage, die den Sicherheitskräften Immunität vor der Strafverfolgung sichert. Sie wird derzeit vom tunesischen Parlament geprüft. Die Gesetzesvorlage billigt die Anwendung tödlicher Gewalt, kriminalisiert auch die Kritik am polizeilichen Verhalten und schränkt die Zugangsfreiheit zu Informationen ein. Amnesty International fordert Tunesien auf, dieses Gesetz im Einklang mit der Annahme der oben genannten Empfehlungen abzulehnen.
Die Kriminalisierung einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher Beziehungen nach Artikel 230 des Strafgesetzbuchs macht LGBTI-Menschen anfällig für Gewalt und Missbrauch durch die Polizei. Die medizinischen Untersuchungen, denen sich Männern unterwerfen müssen, denen einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen vorgeworfen werden, sind Folter und Misshandlung. Amnesty International begrüßt zwar die Zusage Tunesiens, die Praxis der erzwungenen Analuntersuchung von LGBTI-Personen sofort einzustellen, bedauert jedoch zutiefst die Ablehnung von 14 Empfehlungen zur Entkriminalisierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen.
Die Organisation begrüßt die Zusage Tunesiens, den nationalen Rechtsrahmen mit der neuen Verfassung und den internationalen Menschenrechtsstandards in Einklang zu bringen und die Verfassungsorgane einzurichten. Er betont die dringende Notwendigkeit, den Prozess zur Einrichtung des Verfassungsgerichts zu beschleunigen und das Strafgesetzbuch zu ändern, um sicherzustellen, dass alle Artikel in Bezug auf Meinungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, Folter und Todesstrafe den Verpflichtungen Tunesiens im Rahmen internationaler Menschenrechtsnormen entsprechen.
Amnesty International bedauert die Ablehnung der Empfehlung von Tunesien, zivile Prozesse des Militärgerichts im Einklang mit internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren zu bringen. Tunesien muss das Gesetz aufheben, das die Strafverfolgung von Zivilisten vor Militärgerichten erlaubt, damit die Militärgerichte nicht dazu benutzt werden können, um Kritiker der Armee zum Schweigen zu bringen.
Hintergrund:
Der UN-Menschenrechtsrat hat am 21. September 2017 auf seiner 36. Tagung das Ergebnis der allgemeinen regelmäßigen Überprüfung Tunesiens angenommen. Vor der Annahme des Berichts über die Überprüfung hat Amnesty International eine mündliche Erklärung abgegeben. Amnesty International hat durch den Länderbericht zur Informationsbasis der Überprüfung beigetragen.