Salil Shetty - Amnesty International
Salil Shetty, Generalsekretär von Amnesty International © Amnesty International – Foto: © Amnesty International

Meldungen | Weltweit : ILGA-Welt-Konferenz 2012

Anläßlich der ILGA-Welt-Konferenz 2012 hielt der Generalsekretär von Amnesty International, Salil Shetty, vor 450 Delegierten aus über 100 Ländern eine Rede, deren Übersetzung wir hier veröffentlichen.

Anmerkungen bei der Weltkonferenz der International Lesbian and Gay Association (ILGA)

12. Dezember 2012 - Salil Shetty, Generalsekretär von Amnesty International

Es ist ein Privileg, heute hier bei Ihnen zu sein und die Partnerschaft zwischen ILGA und Amnesty International zu stärken. LGBT-Rechte sind Menschenrechte. Heute ist ein großartiger Tag – zwei Tage nach dem Tag der Menschenrechte und es ist der 12.12.12.

Als Inder konnte ich von Nahem beobachten, wie die Diskriminierung von niederen Kasten, von religiösen Minderheiten und von Frauen Individuen, Gemeinschaften und das ganze Land betroffen hat.

Als dunkelhäutiger Mensch habe ich, trotz aller Privilegien, die ich genieße, Diskriminierung innerhalb und außerhalb Indiens erfahren. Als Immigrant in den Westen gehe ich seit 15 Jahren täglich mit Diskriminierung um, schon wenn ich am Flughafen Sicherheitskontrollen passiere.

Der Farbton oder die Farbe unserer Haut sollte nicht von Bedeutung sein. Auch unsere sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität nicht. Auch unser Glauben und unser Unglauben nicht. Ich könnte endlose weitere Kriterien aufzählen, die unsere Gesellschaften benutzen, um uns zu kategorisieren und zu beurteilen.

Ich brauche diesem Publikum nicht aufzuzählen, was von Bedeutung sein sollte – an erster und wichtigster Stelle stehen unsere gemeinsame Menschlichkeit und unser Wunsch, in Würde zu leben und unsere Rechte und den gleichen Schutz durch das Recht zu genießen. Stattdessen werden wir gezwungen, uns damit auseinanderzusetzen, wie unsere Identitäten benutzt werden, uns zu dämonisieren und uns vom Schutz der Menschenrechte auszuschließen.

Ich glaube, dass die Amnesty-International-Bewegung eine wichtige Rolle spielen muss, um sicherzustellen, dass kein Mensch Opfer von Diskriminierung, Gewalt oder Verfolgung aufgrund seiner sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität wird.

Ich glaube, dass es dringend notwendig ist, dass Amnesty International dieses Thema zu jeder Gelegenheit anspricht, und dass die Bemühungen, diesen Missbrauch zu beenden, als integraler Teil dabei betrachtet werden, Respekt für Menschenrechte zu entwickeln – und nicht als peripherer Aspekt des Menschenrechts-Diskurses.

Dünnes Eis:

Denn wenn man erst mal anfängt, Ausnahme zu machen, begibt man sich auf dünnes Eis. Ja, wir sind für Menschenrechte, allerdings nicht, wenn es sich um Terroristen handelt, ist ein Argument, das wir zunehmend öfter hören.

Es ist ein Kampf, der in nahezu jedem Land der Erde anhält – Menschen werden wegen ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Geschlechtsidentität ausgeschlossen, eingesperrt und angegriffen. Die Konsequenzen sind verheerend – manchmal tödlich.

Es steht außer Frage, dass der Kampf um Förderung der inhärenten Würde und Gleichheit aller Menschen unabhängig ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Geschlechtsidentität besonders hart ausgetragen wird.
Es handelt sich um eines der wenigen Themen, in dem afrikanische TraditionalistInnen sich mit westlichen religiösen Gruppen verbünden, um lesbische, schwule, trans*, bi-und intersexuelle AfrikanerInnen zu attackieren. Religiöse FundamentalistInnen aller Couleur kommen auf einen gemeinsamen Nenner, wenn sie verkünden, dass Homosexualität die „natürliche“ Ordnung umkehrt.

Obwohl ich in einer weltoffenen Großstadt in Südindien, in Bangalore, in einer Familie aufgewachsen bin, die den meisten Themen gegenüber liberal eingestellt war, habe ich lange gebraucht, um komplett zu verstehen, warum dieses Thema auf so vielen Ebene wichtig ist.

In vielen Entwicklungsländern ist die Standardposition zu diesem Thema, dass es sich um eine westliche Zumutung einer extremen Vorstellung handelt: persönliche Freiheit auf Kosten des sozialen Friedens auszuleben – auch wenn hierbei die fortwährende Homophobie in westlichen Ländern ignoriert wird.

Von Ausnahmen abgesehen: Die Tatsache, dass dieses Thema grundlegend mit Diskriminierung und Ausgrenzung zusammenhängt, wird von ansonsten fortschrittlichen Menschen weltweit weiterhin verkannt.
Kräfte gegen Homosexuellen-Rechte benutzen fadenscheinige Argumente um ein feindseliges Klima zu erzeugen, in dem persönliche Attacken auf einzelne lesbische, schwule, trans*, bi- und intersexuelle Menschen unausweichlich sind.
Nachdem eine Zeitschrift in Uganda Fotos und Adressen von schwulen und lesbischen AktivistInnen in Uganda veröffentlicht und zu deren Erhängung aufgerufen hatte, wurde David Kato – den ich getroffen hatte, als ich Amnesty Internationals Büro in Kampala besuchte – ermordet. David war ein Mann mit schmaler Statur aber mit dem Mut und der Integrität einer Person, dessen Herz und Engagement ihn zum Riesen unter den AktivistInnen machte.

Während er sprach, gab er zu, wie gefährlich es war, in Uganda out zu sein. Aber er wusste, dass es noch gefährlicher wäre, zuzulassen, dass Regierung und Großteile der Gesellschaft Menschen dazu zwingen, ihre Sexualität zu verleugnen oder sich an etablierte Konzepte von Maskulinität und Femininität anzupassen.
Er wusste, dass es die Seele zerstört, wenn man gezwungen wird, seine Homosexualität zu verheimlichen und sein Licht unter den Scheffel zu stellen. Und wir wissen, dass er von uns gewollt hätte, global zusammen zu wirken, um den grauenhaften Gesetzen gegen Homosexualität in Uganda entgegenzuwirken, die diese Woche wieder verhandelt werden.
Aber Davids Ermordung – auch wenn über sie viel in der Presse berichtet wurde – war kein Einzelfall. Wir arbeiten an fünf Mordfällen an lesbischen Frauen in Südafrika, die sich innerhalb der letzten sechs Monate zugetragen haben, und der Ermordung von trans*Menschen in der Türkei.

Es vergeht keine Woche, in der wir nicht wegen der Ermordung einer oder eines trans*Menschen, einer lesbischen Frau oder eines schwulen Mannes irgendwo auf der Welt kontaktiert werden. Diese Morde müssen aufhören – aber sie werden nicht aufhören, bis wir die zugrundeliegenden Menschenrechtsverletzungen angegangen sind, die die Angriffe begünstigen. Wir müssen sicherstellen, dass alle, die derartige Angriffe verüben, zur Rechenschaft gezogen werden.
Es ist unverständlich, dass Menschen glauben, es sei rechtmäßig jemanden anzugreifen oder zu ermorden, dessen „Verbrechen“ darin besteht, sich selbst treu zu sein. Doch die Verunglimpfung von lesbischen, schwulen, trans*, bi- und intersexuellen Menschen ist traurige Normalität – fast überall auf der Erde.

Die Spitze des Eisbergs:

Doch diese Verunglimpfung ist nur die Spitze des Eisbergs in Anbetracht weiterer Menschenrechtsverletzungen, die diese Menschen befallen.

Regierungen beschränken Meinungs- und Versammlungsfreiheit auf der Grundlage von sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität. Regierungen diskriminieren, indem sie lesbischen, schwulen, trans*, bi- und intersexuellen Menschen das Recht verwehren, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Regierungen erhalten Gesetze der erzwungenen Sterilisierung von trans*Menschen oder verwehren Zugang zu legalen und/oder medizinischen Veränderungen. Und Regierungen und Gesellschaften ignorieren weitverbreitete Attacken auf Schulkinder und Jugendliche, die als nicht „konform“ betrachtet werden.

Wie viele von Ihnen wissen, überlegt das russische Parlament ein Gesetz einzubringen, dass die Verbreitung „homosexueller Propaganda“ im ganzen Land verbietet. Neun Regionen haben derartige Gesetze bereits verabschiedet. Wenn das Gesetz durch kommt, hätte es eine nachteilige Auswirkung auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit von LGBTI-Menschen. Wie bereits bei einigen regionalen Gesetzen plant Amnesty eine Kampagne gegen dieses Gesetz und ich ermuntere Sie alle, unsere Aktionen mit Ihren Netzwerken zu unterstützen.

Wir alle kämpfen, um den Traum der Gleichheit zur Realität werden zu lassen – und ich bin stolz, dass Amnesty International weltweit Seite an Seite mit AktivistInnen aus LGBTI-Gruppen steht.

Ob wir uns für Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Russland, Gleichberechtigung in der Ehe in Australien, Gewaltfreiheit in Uganda, Versammlungsfreiheit in Belgrad einsetzen oder AktivistInnen in Europa sammeln, um gefährdete LGBTI-Demonstrationen und CSD-Aktivitäten zu unterstützen – Amnesty International ist bei diesen zentralen Themen involviert.
Wir sind stolz auf die Arbeit, die wir leisten, um gefährdete LGBTI-Demonstrationen und CSD-Aktivitäten zu unterstützen.
Um das deutlich zu sagen – viel zu viele Regierungen, sowie religiöse und gesellschaftliche Einrichtungen bringen Kindern und Eltern bei, Menschen, die anders sind, zu hassen und zu fürchten. Regierungen haben viele unterschiedliche Möglichkeiten, Gruppen von Menschen zu diskriminieren – Menschen mundtot zu machen, die ihre Rechte fordern oder ihre Kultur feiern, ihnen zu untersagen, in Schulen zu unterrichten ihre Beziehungen zu kriminalisieren, sie gewaltsam zu sterilisieren, das Geschlecht direkt nach der Geburt zu verändern, wenn sie noch nicht zustimmen können, ihnen eine Anerkennung ihrer Geschlechtlichkeit zu verweigern oder ihnen das Recht zu verweigern, zu heiraten und eine Familie zu gründen –

Mit jeder dieser Handlungen und ihrer Gesamtheit senden sie die Botschaft aus, dass die betroffene Gruppe und jedes ihrer Mitglieder weniger menschlich sind.

Amnesty International steht für Religions- und Meinungsfreiheit. Ich persönlich kenne viele GlaubensführerInnen und –gruppen, die um Gerechtigkeit und die Menschenrechte einer Randgruppe kämpfen mussten. Aber es trifft in gleichem Maße zu, dass religiöse und gesellschaftliche Einrichtungen und Organisationen viel zu oft Botschaften gegen LGBTI-Rechte durch ihre Handlungen untermauern. Während einige Religionen Mitglieder unzähliger Gemeinschaften mit offenen Armen aufnehmen – predigen andere dagegen.

Leider ist es allgemein bekannt, dass einige Glaubensgruppen Geld und Ressourcen nach Afrika fließen lassen um die Verfolgung von lesbischen, schwulen, trans*, bi- und intersexuellen Menschen in Afrika zu fördern. Dieser tödliche Export zieht nicht nur vernichtende Konsequenzen für Individuen nach sich sondern unterminiert den Diskurs, den jede Gesellschaft führen muss, wenn sie um die Definition ihrer Werte kämpft.

Die Konsequenz aus diesen Lehren ist für Kinder gewaltig: Kinder, die ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität in Frage stellen, begreifen schnell, dass sie sich damit in die Schusslinie begeben. Andere lernen, dass Andersartigkeit die Gefahr nach sich zieht, ausgegrenzt, schikaniert und erniedrigt zu werden.

Es passiert zu oft, dass SchulleiterInnen und andere Menschen Drohungen gegen Kinder damit begegnen, diesen Kindern zu raten, ihre Fragen zu verstecken und ihre Identität zu verschleiern. In vielen Ländern werden lesbische, schwule und trans*-SchülerInnen schlicht der Schule verwiesen. So wird Kindern eher beigebracht, sich zu verstellen, zu lügen und sich anzupassen, als andersartige Kinder nicht auszulachen, zu schikanieren und auszuschließen.

Zum Schluss:

Wir müssen die Tatsache respektieren, dass Gesellschaften unterschiedlich sind und nicht am gleichen Punkt stehen. Aber Kindern Vorurteile beizubringen ist antithetisch zur Entwicklung einer Gesellschaft, die Rechte respektiert. Diese Taktik bemächtigt die Privilegierten, entschuldigt ausfallendes Verhalten und gibt dem Opfer die Schuld.
Bei Amnesty International haben wir eine andere Vorstellung von der Welt, die wir aufbauen wollen. Wir wollen in einer Welt leben, in der jeder Mensch geschätzt und in der Vielfalt gefeiert wird.

Wir dürfen nicht aufhören, bis wir dieses erreicht haben. Wenn wir, als Menschenrechtsbewegung, eine Gruppe vergessen, verraten wir das Versprechen der Menschenrechte – das Versprechen, die Würde und Gleichheit eines jeden Menschen zu respektieren und voranzutreiben.

Scheitern ist keine Option. Deshalb steht Amnesty International neben euch während wir diesen Kampf auf der ganzen Welt fortsetzen.

Vielen Dank.

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