Ich spreche von Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung und Identität verfolgt und kriminalisiert werden.
Zum Beispiel in Tunesien: Dort wurden im Dezember sechs Männer wegen "homosexueller Handlungen" zu drei Jahren Haft verurteilt. Auch Länder wie Uganda oder Kamerun stellen Homosexualität unter Strafe. Lesben, Schwule, Bisexuelle,Transgender und Intersexuelle (LGBTI) werden bedroht und schikaniert. Deswegen entscheiden sie sich oft für die gefährliche Flucht nach Europa.
Wenn sie in einem EU-Mitgliedstaat wie Deutschland ankommen, stehen sie vor einem Dilemma: Wem können sie sich anvertrauen? Um Asyl zu erhalten, müssen sie ihre Situation "glaubhaft" vermitteln. Doch viele LGBTI haben Angst, sich zu outen. Sie sind traumatisiert, weil sie extreme Gewalt erlebt haben. Andere wissen gar nicht, dass Homosexualität ein Asylgrund ist. Ohne eine vertrauensvolle Atmosphäre und geschulte Anhörer und Dolmetscher ist eine faire Anhörung ihrer Asylgründe nicht möglich und die Gefahr groß, dass sie in die Verfolgung abgeschoben werden.
Welchen Weg geht die deutsche Bundesregierung? Anstatt anzuerkennen, dass in Marokko, Tunesien und Algerien Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind, sollen diese Länder als "sichere Herkunftsstaaten" deklariert werden. Die Leidtragenden sind Schutzsuchende wie LGBTI und andere Flüchtlinge, die im Zuge einer Gesetzesverschärfung eine schnellere Abschiebung befürchten müssen. Was wir derzeit erleben, ist eine Aushöhlung des Asylrechts. Sollten LGBTI in ihren angeblich "sicheren Herkunftsstaaten" keinen Schutz erhalten, ist es die menschenrechtliche Pflicht der deutschen Bundesregierung, ihn zu gewährleisten. Daran werden wir sie erinnern.
Selmin Çalışkan ist Generalsekretärin der deutschen Amnesty-Sektion.