Der Bericht „From freedom to censorship: Consequences of the Hungarian Propaganda Law“ („Von der Freiheit zur Zensur: Die Folgen des ungarischen Propagandagesetzes“) zeigt, wie das Gesetz innerhalb von drei Jahren eine durchdringende abschreckende Wirkung auf die Medien-, Werbe- und Verlagsbranche hatte, mit Auswirkungen, die LGBTI+-Gruppen und Einzelpersonen betrafen.
„Das Propaganda-Gesetz hat eine Wolke der Angst geschaffen und den Zugang zu Informationen eingeschränkt, insbesondere für junge Menschen. Die Angst vor Sanktionen hat zu einem Abschreckungseffekt geführt, der die Menschen davon abhält, Informationen über sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität weiterzugeben, zu suchen und zu erhalten. Das Propaganda-Gesetz hat auch zu negativen Stereotypen und diskriminierenden Einstellungen gegenüber LGBTI-Personen beigetragen“, sagte die LGBTI-Beauftragte von Amnesty International Ungarn, Eszter Mihály.
„In den letzten zehn Jahren haben die ungarische Regierung und die staatlich unterstützten Medien eine Kampagne gegen LGBTI-Rechte geführt, indem sie eine stigmatisierende Rhetorik verwendeten und diejenigen in der Zivilgesellschaft ins Visier nahmen, die sich für Gleichberechtigung einsetzen.“
Seit der Verabschiedung des Gesetzes ist der Zugang zu wichtigen Informationen und anderen LGBTI-bezogenen Inhalten schwieriger geworden, insbesondere für Kinder und Jugendliche.
Das vage formulierte Verbot der „Darstellung und Förderung“ von „verschiedenen Geschlechtsidentitäten und sexuellen Orientierungen“ in einigen Formen der öffentlichen Kommunikation, einschließlich öffentlicher Bildung, Medien, Werbung und einiger kommerzieller Aktivitäten, hat bei den in diesen Bereichen Tätigen zu Ängsten geführt. Die Angst vor Gerichtsverfahren und möglichen Verleumdungskampagnen in den regierungsnahen Medien hat viele Einzelpersonen und Organisationen davon abgehalten, sich an solchen Gesprächen zu beteiligen und Informationen zu diesen Themen zu verbreiten.
Der Bericht stellt fest, dass einige Mediendienstleister*innen und Buchhandlungen in Ungarn Selbstzensur üben, um rechtliche Sanktionen zu vermeiden, und dass Autor*innen, Kreativagenturen und Organisationen der Zivilgesellschaft Schwierigkeiten haben, sich in den vagen Bestimmungen des Gesetzes zurechtzufinden. Während das Gesetz zunächst nicht in großem Umfang durchgesetzt wurde, änderte sich dies Anfang 2023, als die Behörden zunehmend Verfahren gegen Buchhandlungen einleiteten, die Bücher mit LGBTI-Figuren verkauften.
Die von Amnesty International befragten Fachleute äußerten sich besorgt darüber, wie das Gesetz von den Behörden ausgelegt wird, und zeigten sich unsicher, wie sie ihre Tätigkeit ändern können, um Geldbußen und andere Strafen zu vermeiden. Krisztián Nyáry, Autor und Kreativdirektor von Líra Ltd, sagte gegenüber Amnesty International: „Man könnte auf alle Kinderbücher einen Warnhinweis schreiben, dass sie für die Eltern bestimmt sind, und alles bliebe beim Alten. Aber diese Bücher müssen auch in Folie eingewickelt werden und dürfen überhaupt nicht in der Nähe von Schulen verkauft werden. Das hat zur Folge, dass selbst gesetzestreue Buchhandlungen und Verlage in der Schwebe bleiben und mit Strafen rechnen müssen.“
Das Gesetz hat auch dazu geführt, dass die Ausstrahlung von Fernsehsendungen und Filmen, in denen LGBTI-Personen vorkommen, erst nach der Verwässerung erlaubt ist. Infolgedessen mussten Medienvertreter*innen ihre Programme und Streaming-Inhalte anpassen, um mögliche Strafen zu vermeiden.
Péter Kolosi, Leiter der Abteilung Inhalte des kommerziellen Fernsehsenders RTL, berichtete Amnesty International, dass der Sender bestimmte Sendungen auf spätere Sendezeiten verlegt hat und die Ausstrahlung bestimmter Inhalte gar nicht erst in Betracht zieht. Autor*innen und Programmgestalter*innen mussten ihre Arbeit ändern, um sicherzustellen, dass sie mit dem Gesetz übereinstimmt. Gegenüber Amnesty International sagte er: „Dieses Gesetz ist inakzeptabel, diskriminierend und ich denke, dass es tatsächlich eine Zensur - eine neue Art von Zensur - in den Medien eingeführt hat.“
Das Propaganda-Gesetz hat dazu geführt, dass gegen einige Inhaltsanbieter*innen und Buchhändler*innen rechtliche Schritte eingeleitet wurden. Eine Buchhandelskette musste Geldstrafen zahlen, weil sie altersgerechte Bücher mit gleichgeschlechtlichen Paaren in der Kinderabteilung führte, und eine andere Buchhandlung wurde zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie ein Buch ausstellte, in dem eine trans Figur dargestellt wurde, ohne darauf hinzuweisen, dass es sich um ein Buch für Erwachsene handelte.
Die Autor*innen mussten ihre Werke von der Jugendliteratur in die Kategorie der Erwachsenen umklassifizieren. Eine Autorin berichtete Amnesty International, dass sie in den sozialen Medien zunehmend bedroht und belästigt wurde, nur weil sie über LGBTI-Personen schrieb.
Die Autorin Dóra Papp beschrieb Amnesty International, wie sie in den sozialen Medien in einer Weise bedroht wurde, wie sie es vor der Verabschiedung des Gesetzes nicht erlebt hatte: Eine Person drohte ihr bei einer Buchsignierung, sie anzuspucken. Sie sagte zu Amnesty International: „Das hat mich sehr mitgenommen. Nach so vielen Jahren der Signierstunden, in denen es ein Vergnügen war, Leser*innen zu treffen, wurde mir Angst eingeimpft, weil ich nicht wusste, wie ernst ich die Drohungen nehmen sollte.“ Sie beschreibt auch, wie sich die Abschreckung auf neue Autor*innen ausgewirkt hat. „Sie haben mir von ihrer Angst erzählt und dass sie sich entweder nicht trauen, das Buch, an dem sie arbeiten, zu beenden, oder dass sie sich nicht trauen, ihre Texte in Ungarn zu veröffentlichen.“
Die Ergebnisse von Amnesty International zeigen, dass das Gesetz das Recht der Menschen auf freie Meinungsäußerung, einschließlich des Rechts von Kindern auf Zugang zu Informationen, in unangemessener Weise einschränkt, und zwar in einer Weise, die weder gesetzlich vorgesehen noch notwendig oder verhältnismäßig ist. Es verfolgt kein legitimes Ziel und steht daher im Widerspruch zu den internationalen Menschenrechtsvorschriften und -standards.
„Das Propaganda-Gesetz ist rechtswidrig und hat weitreichende negative Auswirkungen auf das Recht der Menschen auf freie Meinungsäußerung durch weitreichende Beschränkungen, auch für die Medien-, Werbe- und Verlagsbranche“, sagte Eszter Mihály.
„Dieses Gesetz hat in Ungarn keinen Platz und trägt zu einer zunehmenden Stigmatisierung und negativen Stereotypisierung von LGBTI-Personen bei. Es muss sofort aufgehoben werden und es müssen Maßnahmen ergriffen werden, um den Schaden, den es angerichtet hat, zu beseitigen.“