Interview: Frédéric Valin
Sie kämpfen seit 20 Jahren für die Rechte von LGBTI in Kamerun. Wie hat sich deren Situation in dieser Zeit verändert?
Gesellschaftlich hat sich die Lage seit dem Beginn unseres Kampfes vor 20 Jahren verbessert. Die Stimmung ist toleranter geworden. Andererseits werden auch heute noch Menschen festgenommen, sogar mehr als zuvor. Das betrifft vor allem junge Männer aus benachteiligten Vierteln. Die wirtschaftliche und politische Krise in Kamerun trifft Homosexuelle besonders hart, weil kriminelle Banden, die Geld erpressen wollen, sie als leichtes Opfer sehen. Schwule sind dieser Gewalt schutzlos ausgeliefert. Bei einflussreichen Menschen sieht man häufig über bestimmte Dinge hinweg, aber nicht bei den Armen. Der Kampf gegen die extreme Armut ist deshalb ein Kampf für die Menschenrechte. Es gibt auch immer wieder Fälle von Erpressung durch die Sicherheitskräfte. Wenn am Wochenende der Geburtstag der Nichte ansteht und ein Geschenk fehlt, klopft der örtliche Polizist am Freitagnachmittag bei Homosexuellen, um sie in eine Zelle zu stecken. Wer das Wochenende nicht im Gefängnis verbringen will, bringt schnell einen Umschlag auf die Wache. Schwule füllen die Kassen der Korruption.
Wie sind die Haftbedingungen?
Im Gefängnis ist es sehr hart, schwul zu sein. Homosexuelle werden dort ständig Opfer von Gewalt, von Vergewaltigungen. Das Gefängnis ist eine andere Welt, da bist Du ein Nichts. Manchmal hilft Bestechung – entweder man schmiert das Personal oder einen altgedienten Insassen, eine*n "Cahid". Man müsste einen Film darüber drehen, weil man es nicht glauben kann, wenn man es nicht gesehen hat.
Ein Mann wurde festgenommen in einer Bar, weil er ein Glas Baileys bestellt hatte. So etwas Süßes würden nur Schwule trinken, hieß es. Es ist völlig willkürlich.
Wie kam es zu Ihrem Einsatz für die Rechte Homosexueller?
Es begann damit, dass ich manchmal nach meinen eigenen juristischen Fällen vor Gericht sitzen blieb, um mir noch eine andere Verhandlung anzusehen. Dabei erlebte ich, dass junge Leute, die wegen Homosexualität angeklagt waren, in Ketten vorgeführt wurden und keine Strafverteidigung hatten. Das hat mich geschmerzt. Damals lagen die Haftstrafen bei drei Monaten mit anschließender Bewährung. Inzwischen sind wir bei fünf Jahren. Und die Beweisaufnahmen sind ein Scherz. Roger Mbédé wurde zum Beispiel verurteilt, weil er einem Mann eine SMS geschrieben hatte. Vor zehn Jahren wurde ein Mann festgenommen, weil er in einer Bar ein Glas Baileys bestellt hatte. So etwas Süßes würden nur Schwule trinken, hieß es. Es ist völlig willkürlich. Ich glaube an das Recht, und ich glaube an die Wahrheit. Es ist nicht lapidar, einen Menschen ins Gefängnis zu stecken. Und wenn die Beweisaufnahme auch noch von Dummheit und Faulheit geprägt ist, muss es jemanden geben, der widerspricht. Die Verurteilten sind oft unter 30, und das Urteil schreibt ihr künftiges Schicksal fest. Weil sie Schutz brauchen, verteidige ich diese Menschen.
In Mali, Burkina Faso, Gabun und Niger gab es Umstürze und Putsche. Wie beurteilen sie die politische Situation in Westafrika?
Die Destabilisierung der Region hängt eng mit Putins Aufstieg in Afrika zusammen. Er will Frankreich vertreiben. Und es geht ihm darum, die kleinen Fortschritte, die wir als Gesellschaft gemacht haben, rückgängig zu machen, und eine illiberale und homophobe Autokratie einzuführen. Das sagt er ganz offen. Leider verfängt Putins antikoloniale Rhetorik. Frankreich hat dem wenig entgegenzusetzen. Emmanuel Macron hätte ein geeigneter Präsident sein können, um den Übergang zwischen der postkolonialen Periode und der Moderne einzuleiten. Seine Aussagen über Menschenrechte, gute Staatsführung und Demokratie klangen wie ein Versprechen für eine bessere Zukunft. Aber er ist damit gescheitert. Wir sehen es auch daran, dass die finanziellen Hilfen für Menschenrechtsarbeit stark zurückgegangen sind. Dennoch arbeiten die Menschenrechtsorganisationen weiter. Mit Putin wird man sich jedoch von alldem verabschieden müssen.
Unsere Arbeit ist nicht einfach, wir haben alles zu verlieren, auch das Leben, aber es gibt keinen Grund, jetzt aufzuhören.
Welche Rolle spielen die Kirchen bei der Gewalt gegen Homosexuelle?
Die Kirchen sind der Motor der Gewalt gegen Homosexuelle. Ich habe viele Kämpfe mit Christian Wiyghan Tumi ausgefochten, dem einzigen Kardinal in Kamerun, der 2021 starb. Er sagte im Fernsehen, Homosexuelle seien weniger wert als Tiere. Daraufhin bin ich ebenfalls ins Fernsehen, um ihm zu widersprechen. Ich respektierte ihn, denn er setzte sich sehr für die Opposition ein. Aber über diese Frage haben wir uns entzweit, bis Papst Franziskus sich offen und nicht im Sinne Tumis zur Homosexualität geäußert hat. Danach ging ich zu Tumi und sagte ihm, dass die Regierung viele Schwule ermordet habe und er eine diabolische Allianz mit ihr eingegangen sei. Er hatte dem nichts entgegenzusetzen. Und er trat noch einmal im Fernsehen auf und sagte, dass die Kirche Homosexuelle nicht im Gefängnis sehen wolle. Von da an haben wir uns wieder angenähert.
Sie sind 79 Jahre alt, wie geht es mit Ihrer Arbeit weiter?
Ich arbeite weiter und begleite die Menschen auch im Gefängnis und wenn sie entlassen werden. Aber die finanziellen Mittel sind knapp. Wer Homosexuelle verteidigt, verdient kein Geld, im Gegenteil. Ich musste fast unsere Organisation schließen, weil ich die Miete nicht bezahlen konnte. Doch gibt es zum Glück Menschen, die sich engagieren. Ich habe gerade einen jungen Mann gefunden, der bereit ist, meine Arbeit weiterzuführen. Das ist sehr mutig von ihm. Und es gibt Unterstützerinnen und Unterstützer, die humanistisch und offenherzig sind. Unsere Arbeit ist nicht einfach, wir haben alles zu verlieren, auch das Leben, aber es gibt keinen Grund, jetzt aufzuhören. Dass Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung inhaftiert werden, muss aufhören. Es muss klar werden, dass Richter, die diese Menschen verurteilen, das Recht brechen. Das ist es, was mich antreibt.
Frédéric Valin ist freier Autor und Journalist. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.