Lesbisches Paar in Japan
Lesbisches Paar in Japan © Amnesty International

Meldungen | Japan : JAPAN: Kein Schutz vor Diskriminierung

Im Zuge der allgemeinen regelmäßigen Überprüfung (Universal Periodic Review des UN-Menschenrechtsrats) zu Japan untersucht Amnesty International auch die Situation von LGBTI in dem Land. Hier der Auszug aus dem Bericht:

DISKRIMINIERUNG AUFGRUND DER SEXUELLEN AUSRICHTUNG, DER GESCHLECHTSIDENTITÄT ODER DEM AUSDRUCK DER GESCHLECHTLICHKEIT (ARTIKEL 2, 7, 17, 23 UND 26)

In Japan gibt es derzeit keine umfassenden Antidiskriminierungsgesetze zum Schutz von Einzelpersonen und Gruppen vor Diskriminierung aus allen Gründen, einschließlich der sexuellen Ausrichtung, der geschlechtlichen Identität und des Ausdrucks der Geschlechtlichkeit (engl.: sexual orientation, gender identity and expression, kurz SOGIE).

Im Dezember 2018 brachten vier Oppositionsparteien einen Gesetzesentwurf zum Verbot der Diskriminierung aufgrund von SOGIE ein, welcher derzeit im Repräsentantenhaus geprüft wird.14 Die regierende Liberaldemokratische Partei (LDP) kündigte an, sie werde ebenfalls einen Gesetzesentwurf einbringen, welcher jedoch nicht darauf abzielt, Diskriminierung zu verbieten sondern eine "tolerante Gesellschaft" zu fördern. Im Oktober 2018 verabschiedete die Stadtregierung von Tokio eine Verordnung, die ausdrücklich Diskriminierung aufgrund von SOGIE verbietet.15

"OUTING" UND DAS RECHT AUF PRIVATSPHÄRE

Im August 2015 hat ein schwuler Studierender an der Graduiertenschule für Rechtswissenschaften an der Hitotsubashi-Universität in Tokio Selbstmord begangen, nachdem er von seinen Kommiliton*innen "geoutet" und schikaniert worden war.16

Nach Angaben des Ministeriums für Gesundheit, Arbeit und Wohlfahrt gehören LGBTI-Personen zu jener Gruppe, die in Japan als hochgradig suizidgefährdet eingestuft wurde. Geoutet zu werden, ist innerhalb dieser Gruppe eine der Hauptursachen für Selbstmord.17 Die weite Verbreitung homophober und transphober Ansichten in Japan führen dazu, dass sich viele LGBTI-Personen gezwungen sehen, ihre SOGIE vor Arbeitgeber*innen, öffentlichen Bediensteten und sogar ihren Familien zu verbergen.

Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung homophober und transphober Reden von Politiker*innen und gegen die Diskriminierung und Stigmatisierung von LGBTI-Personen hat sich merklich verringert. 2018 veröffentlichte ein Mitglied des Repräsentantenhauses der LDP einen Zeitschriftenartikel, in dem sie sich gegen staatliche und kommunale Bemühungen, Steuergelder in Maßnahmen zur Unterstützung gleichgeschlechtlicher Paare zu investieren, äußert, weil "diese Männer und Frauen keine Kinder zur Welt bringen - mit anderen Worten, sie sind 'unproduktiv'".18 Darüber hinaus kommentierte im Januar 2019 ein weiteres Mitglied des Repräsentantenhauses aus der LDP bei einer Veranstaltung, dass "eine Nation zusammenbrechen würde, wenn alle zu LGBT würden".19

Japan fehlt nach wie vor eine umfassende Gesetzgebung zum Schutz von LGBTI vor Willkür und rechtswidriger Eingriffe in ihre Privatsphäre oder Zugang zu einem wirksamen Rechtsbehelf für den Fall solcher Intervention. Inmitten einer nationalen Debatte über das Versagen, LGBTI-Schüler*innen vor Mobbing an Schulen zu schützen, revidierte das Cabinet Office im Jahr 2017 jedoch die Richtlinien für die Prävention von Selbstmord, mit der Verstärkung der Unterstützung für "sexuelle Minderheiten" als einer der wichtigsten Maßnahmen.20

GLEICHGESCHLECHTLICHE EHE

Japan erkennt die gleichgeschlechtliche Ehe auf nationaler Ebene nicht offiziell an. Dies führt zu Verstößen gegen das Recht gleichgeschlechtlicher Partner eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen nach Artikel 23 und gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Artikel 17 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte.

Gemäß der Equal Marriage Alliance Japan, verwehrt die derzeitige Praxis des Verbots der Heirat gleichgeschlechtlicher Paare den Zugang zur Krankenversicherung der Partner*innen oder die Beantragung eines Urlaubs zur Pflege von Familienangehörigen bei der Pflege der Partner*inen; die Zustimmung zu einer medizinische Behandlung der Partner*innen oder die Offenlegung der Krankenakte im Krankenhaus; Steuerbefreiungen für Ehegatt*innen; und das gemeinsame Sorgerecht für ein Adoptivkind zu haben.21 Trotz des fehlenden Schutzes von gleichgeschlechtlichen Paaren, weigert sich die japanische Regierung, die gleichgeschlechtliche Ehe anzuerkennen und besteht darauf, dass die Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe in Artikel 24 der Verfassung nicht vorgesehen ist.22

Obwohl auf nationaler Ebene keine größeren Schritte unternommen wurden, gab es Fortschritte bei der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen in den Kommunen. Im Jahr 2015 führte die Bezirksversammlung von Tokio in Shibuya eine Verordnung zur Ausstellung einer Bescheinigung für die Anerkennung einer gleichgeschlechtlichen Ehe als "gleichwertig mit Ehe" ein. Obwohl die Bescheinigung nicht rechtsverbindlich ist, erlaubt sie es gleichgeschlechtlichen Paaren vor Ort, gemeinsam eine Wohnung zu mieten und gewährt ihnen das Recht auf Krankenhausbesuche als Familienmitglieder. Wird in Krankenhäusern, Immobilienfirmen oder bei anderen Unternehmen festgestellt, dass sie gegen die Verordnung verstoßen, indem sie gleichgeschlechtliche Paare diskriminieren werden ihre Namen werden auf der Website des Bezirks veröffentlicht.23 Nach dem Bezirk Shibuya hat eine zunehmende Zahl von anderen Kommunen in Japan Verordnungen oder Richtlinien eingeführt, die gleichgeschlechtliche Ehen anerkennen. Ende August 2020 gibt es 57 solcher Gemeinden, darunter zwei Präfekturen.

ANERKENNUNG DER GESCHLECHTSIDENTITÄT AUCH IN HAFTANSTALTEN

Personen, deren Geschlechtsidentität sich von dem Geschlecht unterscheidet, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, dürfen ihr Geschlecht gemäß dem Gesetz über Sonderfälle im Umgang mit dem Geschlechtsstatus von Personen mit „Gender Identity Disorder“ (Act on GID) ändern lassen. Die Anerkennung hängt jedoch von einer Reihe von Kriterien ab, darunter eine Operation zur Geschlechtsangleichung. Weitere Kriterien sind u.a., dass die Person sterilisiert oder anderweitig unfähig gemacht werden muss, sich fortzupflanzen und unverheiratet zu sein. Indem diese Kriterien Bedingungen für die rechtliche Anerkennung des Geschlechts und somit für den Zugang zu offiziellen Dokumenten stellen, die die geschlechtliche Identität widerspiegeln, diskriminiert die Regierung transsexuelle Menschen und schränkt so das Recht auf Schutz vor unmenschlicher und erniedriegender Behandlung ein, sowie das Recht auf Gesundheit und auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Das Recht auf Gleichheit und auf Anerkennung vor dem Gesetz wird ebenfalls verletzt. 24

LGBTI-Personen in Haft sind häufig einem besonderen Risiko von Gewalt, Belästigung und anderen Misshandlungen ausgesetzt. Transgeschlechtliche Häftlinge sind routinemäßig einer Vielzahl von missbräuchlichen Praktiken ausgesetzt, die Verstöße gegen das absolute Verbot von Folter oder anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe in Artikel 7 des Paktes darstellen. Zwischen 2014 und 2016 gab es zwei Fälle von transgeschlechtlichen Frauen, die in einem Männergefängnis in der Stadt Kobe untergebracht wurden, wo sie körperlichen und psychischen Misshandlungen ausgesetzt waren und deren Haare abrasiert wurden, weil ihre geschlechtliche Identität nicht anerkannt wurde.25 Darüber hinaus hat das Solidaritätsnetzwerk mit Migrant*innen Japan über einen Fall berichtet, in dem eine philippinische transgeschlechtliche Frau ihre Hormonbehandlung in einer Haftanstalt des Tokioter Dem Regional Immigration Services Bureau nicht fortsetzen konnte, nachdem sie im Juli 2019 festgenommen wurde. Sie wurde auch sechs Monate lang in Einzelhaft gehalten, ohne dass eine angemessene Erklärung vorlag.26

AMNESTY INTERNATIONAL FORDERT DIE REGIERUNG JAPANS DAZU AUF:

  • Allen Personen Schutz vor Diskriminierung aus allen Gründen, einschließlich sexueller Diskriminierung, zu gewähren;

  • Eine gesetzliche Gewährleistung des Schutzes von LGBTI-Personen vor willkürlichen oder unrechtmäßigen Eingriffen in ihre Privatsphäre, einschließlich der unbefugten Offenlegung ihrer sexuellen Orientierung, geschlechtlichen Identität oder des Ausdrucks der Geschlechtlichkeit durch Dritte, zu schaffen;

  • Eheschließungen zwischen Paaren desselben Geschlechts als gleichwertig offiziell anzuerkennen und die gleichen Rechte zu gewähren, wie Ehen zwischen verschiedengeschlechtlichen Paaren;

  • Sicherzustellen, dass transgeschlechtliche Menschen in Haft- oder Strafvollzugseinrichtungen untergebracht werden, die ihrer Geschlechtsidentität entsprechen, die ihre Sicherheit besonders berücksichtigen und in denen sie während ihrer Inhaftierung nicht weiter marginalisiert werden;

  • Die Anforderungen abzuschaffen, sich einem psychiatrischen Gutachten zu unterziehen und eine Diagnose zu erhalten, sowie andere medizinische Anforderungen zu erfüllen und Einschränkungen, die die Menschenrechte verletzen, um die rechtliche Anerkennung des Geschlechts zu erlangen.

14 Democratic Party For the People, LGBT差別解消法案を衆院に提出(Bill on elimination of discrimination against LGBT submitted to House of Representatives), 5 December 2018. https://www.dpfp.or.jp/article/200892

15 The Japan Times, Tokyo adopts ordinance banning discrimination against LGBT community,
5 October 2018. https://www.japantimes.co.jp/news/2018/10/05/national/tokyo-adopts-ordinance-banning-discrimination-lgbt-community/#.XztfC25uJei 

16 Kyodo News, Alarm bells sound over "outings" in Japan's LGBT community,
12 April 2019. https://english.kyodonews.net/news/2019/04/677717754ff7-focus-alarm-bells-sound-over-outings-in-japans-lgbt-community.html

17 Ministry of Health, Labour and Welfare, 自殺総合対策大綱~誰も自殺に追い込まれることのない社会の実現を目指して~(The General Principles of Suicide Prevention Policy:Realizing a Society in Which No One Is Driven to Take Their Own Life),
25 July 2017. English Translation available at https://jssc.ncnp.go.jp/file/pdf/2017-0910-GeneralPrinciples-En.pdf 
(hereinafter: Ministry of Health, Labour and Welfare, The General Principles of Suicide PreventionPolicy)

18 The Japan Times, LDP lawmaker Mio Sugita faces backlash after describing LGBT people as ‘unproductive’,
24 July 2018. https://www.japantimes.co.jp/news/2018/07/24/national/politics-diplomacy/ldp-lawmaker-mio-sugita-faces-backlash-describing-lgbt-people-unproductive/

19 西日本新聞(The Nishinippon Shimbun), LGBTばかりは「国つぶれる」自民・平沢勝栄議員、集会で発言(Nation would collapse” if everyone became LGBT –MP Katsuei Hirasawa from LDP commented at an event),
6 January 2019. https://www.nishinippon.co.jp/item/o/477391/

20 Ministry of Health, Labour and Welfare, The General Principles of Suicide PreventionPolicy.

21 Equal Marriage Alliance Japan, Various Problems Faced by a Same-Sex Couple Unable to Marry,
13 August 2015. http://emajapan.org/news/107222 Record at the House of Representatives,
11 May 2018. http://www.shugiin.go.jp/internet/itdb_shitsumon.nsf/html/shitsumon/b196257.htm

23 Article 15(4), 渋谷区男女平等及び多様性を尊重する社会を推進する条例 (Ordinance for Promoting Respect of Gender Equality and Diversity in the Ward), entered into force 31 March 2015. https://www.city.shibuya.tokyo.jp/reiki_int/reiki_honbun/g114RG00000779.html#e00000014

24 Amnesty International, Human Rights Law and Discrimination against LGBT People in Japan(Index: ASA 22/5955/2017)

25 朝日新聞(The Asahi Shimbun), 性同一性障害、刑務所はどちらに?受刑者が見直し訴え(Where to place detainees with Gender IdentityDisorder in prison?
Detainees requests condition review),
4 August https://www.asahi.com/articles/ASJ7P4H1FJ7PPTIL00L.html26 Solidarity Network with Migrants Japan, “「トランスジェンダーも人間だ」-東京入管被収容者パトさんからの訴え(Transgenders are human beings, too” Appeal made by Pato, a detainee in the Tokyo Regional Immigration Services Bureau), 13 April 2020. https://migrants.jp/news/blog/20200413.html .

Meldungen 2020

Meldungen | Polen : Polen: Gehen oder bleiben?

Meldungen | Brasilien : Brasilien: Tausend Tage ohne Marielle und Anderson - und eine durchschlagende Stille

Meldungen | Schweiz : Schweiz: Historischer Entscheid für gleiche Rechte

Meldungen | Ungarn : UNGARN: UNGARISCHES PARLAMENT MUSS ÄNDERUNGSANTRÄGE, DIE ZUR WEITEREN UNTERGRABUNG DER RECHTE DER LGBTI-BEVÖLKERUNG FÜHREN, ABLEHNEN

Meldungen | Indien | Philippinen | Libanon | Peru | Tonga | Weltweit : Weltweit: Die Regierungen haben es versäumt transgeschlechtliche Menschen vor Mord zu schützen - und vor COVID-19

Meldungen | Indonesien : Indonesien: Anti-LGBTI-Kampagne im Militär muss aufhören

Meldungen | Japan : JAPAN: Kein Schutz vor Diskriminierung

Meldungen | Botswana : Botswana: Getrübte Freude

Meldungen | Südkorea : Südkorea: Neues Anti-Diskriminierungsgesetz bietet Vielen Hoffnung und Sicherheit

Meldungen | Ägypten | Weltweit : Ägypten/Weltweit: Ein regenbogenfarbener Faden

Meldungen | Uganda | Ägypten | Indien | Philippinen | Weltweit : Weltweit: Die „Global Pride“ ist eine rechtzeitige Erinnerung daran, dass LGBTI-Personen bei den Maßnahmen gegen COVID-19 nicht vergessen werden dürfen

Meldungen | Weltweit : Weltweit: SCHUTZ DER MENSCHENRECHTE VON LGBTI-MENSCHEN WÄHREND DER COVID-19-PANDEMIE

Meldungen | USA : USA: Oberster Gerichtshof der Vereinigten Staaten von Amerika verteidigt Gleichheit und Menschenrechte im Fall von LGBTQI-Arbeitsplatzschutz

Meldungen | Brasilien : Brasilien: Die Verhaftung von Maxwell Simões Corrêa ist ein wichtiger Schritt in den Ermittlungen, doch Amnesty International verlangt Antworten darüber, wer die Ermordung von Marielle befohlen hat und warum

Meldungen | Türkei : Türkei: Die Regierung muss Maßnahmen zur Bekämpfung der zunehmenden Homophobie und Transphobie ergreifen

Meldungen | Ungarn : Ungarn: Die Regierung muss das Verbot der rechtlichen Anerkennung des Geschlechts aufheben

Meldungen | Ukraine : Ukraine: Erfreuliche Entwicklung für die Aktivistin Vitalina Koval

Meldungen | Indonesien : Indonesien: Forderung nach einem Ende von "hasserfüllten" Razzien gegen LGBTI-Personen

Meldungen | Großbritannien : Nordirland: "Historischer Tag", an dem sich gleichgeschlechtliche Paare zum ersten Mal für die Ehe registrieren lassen können

Meldungen | Bhutan : Bhutan: Historische Gelegenheit, gleichgeschlechtliche Beziehungen zu entkriminalisieren

Meldungen nach Jahren