Am 14., 15., und 16.Oktober 2011 wurden zwei Gruppen Männer in Nordzypern auf Grundlage des Artikels 171 des Strafgesetzbuches von 1929 verhaftet, das Homosexualität unter Männer unter Strafe stellt.
Artikel 171, der unter der britischen Kolonialherrschaft eingeführt wurde, ist die einzige noch in Kraft befindliche Rechtsvorschrift in einem Mitgliedsland des Europarats, das einvernehmliche gleichgeschlechtliche Handlungen unter Männern unter Strafe stellt und dafür eine Strafe von bis zu fünf Jahren Haft vorsieht. 1998 hatte das Parlament der Republik Zypern (Südzypern, Anmerkung des Übersetzers) einvernehmliche gleichgeschlechtliche Handlungen straffrei gestellt und den Artikel 171 des Strafgesetzbuches aufgehoben.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat im Fall Modinos gegen Zypern (1993) ausdrücklich geurteilt, dass Artikel 171 den Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) verletzt. Dies erfolgte in Übereinstimmung mit früheren Urteilen des Gerichtshofs, so Dudgeon gegen das Vereinigte Königreich (1981) und Norris gegen Irland (1989).
Der Artikel verletzt ferner Artikel 17 des Internationales Pakts über bürgerliche und politische Rechte (Schutz vor willkürlicher oder ungesetzlicher Einmischung in das Privat- oder Familienleben), wie es der Beschluss des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen im Fall Toonen gegen Australien (1994) besagt hatte.
Mindestens zwei der sieben Männer, die verhaftet wurden und sich nach wie vor in Haft befinden, haben Vorwürfe erhoben, sie seien im Polizeigewahrsam misshandelt worden. Dies muss umgehend und unabhängig untersucht werden und jegliche Person, die dafür verantwortlich gemacht werden kann, vor Gericht gebracht.
Amnesty International, Human Rights Watch, die Europäische Region der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGAEurope), die International Gay & Lesbian Human Rights Commission (IGLHRC) und Homofobiye Karşı İnisiyatif (Initiative gegen Homophobie) fordern die unverzügliche Freilassung aller Männer, die derzeit auf Grundlage des Artikels 171 in Haft sind. Alle Verfahren gegen Personen auf Grundlage des Artikels 171 sind einzustellen, und der Artikel 171 unverzüglich außer Kraft zu setzen.
Nicola Duckworth
Direktor des Europa- und Zentralasienprogramms
Amnesty International