Evdokia Romanova, LGBT-Aktivistin aus Samara in Russland
Evdokia Romanova, LGBT-Aktivistin aus Samara in Russland, © Olga Usoltseva

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Am 18. Oktober findet vor einem einfachen Gericht in Samara die Anhörung im Verfahren gegen die Menschenrechtlerin Evdokia Romanova wegen „homosexueller Propaganda“ statt. Die Richterin entschied, dass die Anhörung unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden wird. Das Strafverfahren gegen Evdokia Romanova bezieht sich lediglich auf die friedliche Wahrnehmung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung und muss daher fallengelassen werden.

Frau Evdokia Romanova – Russische Föderation
17. Oktober 2017
UA-Nummer: UA-209/2017-1
AI Index: EUR 49/7264/2017

Sachlage

Am 26. Juli wurde gegen die Menschenrechtsverteidigerin Evdokia Romanova ein Strafverfahren wegen "homosexueller Propaganda" eingeleitet. Eingangs wurde das Verfahren vor dem Bezirksgericht von Kirov im zentralrussischen Samara geführt. Während der Anhörung am 18. September verkündete das Gericht jedoch, dass der Fall vor einem niederinstanzlichen Gericht gehört werden sollte. Am 4. Oktober erhielt Evdokia Romanova ein Schreiben der nun zuständigen Richterin. Darin wurde ihr mitgeteilt, dass der Fall an die Polizeiabteilung, die die Strafverfolgung angestrengt hatte, zurückverwiesen worden sei, um einige fehlerhafte Stellen in der Akte zu klären. Ein Fehler bezog sich auf die Verjährungsfrist der "Straftat", die Evdokia Romanova zur Last gelegt wird. Sie war bereits abgelaufen, ehe die Polizei das Strafverfahren gegen die Menschenrechtsverteidigerin eingeleitet hatte. Der Ort, an dem Evdokia Romanova die "Straftat" begangen haben soll, wurde falsch angegeben. Der Fall müsste eigentlich erneut verwiesen werden, da der Wohnsitz von Evdokia Romanova außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des derzeit damit betrauten Gerichts liegt. Am späten Nachtmittag des 5. Oktober - einem Freitag - wurde ihrem Rechtsbeistand mitgeteilt, dass die Anhörung für den 9. Oktober anberaumt sei. Evdokia Romanova und ihrem Rechtsbeistand blieb nur das Wochenende, um sich auf die Anhörung vorzubereiten.

Bei der Anhörung am 9. Oktober entschied die Richterin, dass das Verfahren künftig unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden müsse, um nicht noch weitere "Propaganda" zu schaffen. Nach der Anhörung teilte die Richterin Evdokia Romanova mit, dass sie über die große Aufmerksamkeit, die der Fall auf sich ziehe, und die zahlreichen Anrufe von Moskauer Journalist_innen nicht glücklich sei. Die Richterin fügte hinzu, dass sie keine Journalist_innen im Gerichtssaal wünsche. Die nächste Anhörung wurde für den 18. Oktober angesetzt.

Appell an:

Staatsanwalt der Region Samara
Konstantin Nikolaevich Bukreev
ul.Krasnoarmeiskaia, 32
443030, Samara Region
RUSSISCHE FÖDERATION

Fax: (007) 846 333-54-28

Sende eine Kopie an:

Ombudsfrau für Menschenrechte der Region Samara
High Commissioner Olga Dmitrievna Galtsova
Ul.Mayakovskogo, 20
443100 Samara Region
RUSSISCHE FÖDERATION
Fax: (00 7) 8463 374983
E-Mail: Ombudsman.Samara(at)yandex.ru

Hintergrundinformation

Evdokia Romanova ist ein aktives Mitglied der Jugendkoalition für sexuelle und reproduktive Rechte (Youth Coalition for Sexual and Reproductive Rights - YCSRR). Am 26. Juli erhielt die Menschenrechtsverteidigerin eine Vorladung auf die Polizeiwache in ihrer Heimatstadt Samara in Russland, wo sie als Zeugin in einem anderen Fall aussagen sollte. Als sie dort vorstellig wurde, wurde sie jedoch gemäß Artikel 6.21, Teil 2 des russischen Gesetzbuches über Ordnungswidrigkeiten unter Anklage gestellt und verhört. Der Vorwurf lautete auf "Propagieren von nicht-traditionellen sexuellen Beziehungen zwischen Minderjährigen über das Internet". Ihr einziges "Verbrechen" war, dass sie Links zur Website der YCSRR sowie zu weiteren Veröffentlichungen geteilt hat. Dazu gehören ein Artikel der britischen Zeitung The Guardian über das Referendum zur gleichgeschlechtlichen Ehe in Irland und ein Artikel der Internetseite Buzzfeed, der über eine Ausstellung zu russischen LGBT-Jugendlichen in St. Petersburg berichtet. Diese Links hatte sie auf ihren persönlichen Profilen auf Facebook und im russischen sozialen Netzwerk VKontakte geteilt. Vier der Veröffentlichungen stammen aus dem Jahr 2015 und eine weitere vom Mai 2016.Bei einer Verurteilung droht ihr eine Geldstrafe von bis zu 100.000 Rubel (etwa 1.446 Euro).

Die Jugendkoalition für sexuelle und reproduktive Rechte (Youth Coalition for Sexual and Reproductive Rights - YCSRR) wurde beim Jugendforum in Den Haag (Hague Youth Forum) im Februar 1999 ins Leben gerufen, das vom Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen, der Stiftung Weltbevölkerung (World Population Foundation) und vom Niederländische Rat für Jugend und Bevölkerung (Council on Youth and Population) organisiert wurde. Einigen jungen Menschen, die an dem Forum teilnahmen, war der Schutz der sexuellen und reproduktiven Rechte von Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein besonderes Anliegen. Diese Personen riefen die Jugendkoalition YCSRR ins Leben, um das Streben junger Menschen nach der Verwirklichung ihrer sexuellen und reproduktiven Rechte unterstützen zu können.

Das Gesetz, welches die "Förderung nicht-traditioneller sexueller Beziehungen zwischen Minderjährigen" verbietet, auch bekannt als das "Gesetz über homosexuelle Propaganda", wurde in Russland im Juni 2013 verabschiedet. Dadurch wurde Artikel 6.21 in das russische Gesetz über Ordnungswidrigkeiten aufgenommen. Dieser bildet nun die Grundlage für erhebliche Geldstrafen, die von den Behörden gegen die Personen verhängt werden können, die ihres Erachtens "nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen" fördern. Amnesty International ist der Ansicht, dass dieses Gesetz die Meinungsfreiheit einschränkt und setzt sich für seine Abschaffung ein. Das Gesetz hat negative Auswirkungen auf die Arbeit von Organisationen und Aktivist_innen, die sich für LGBT-Rechte einsetzen. Seit der Einführung des Gesetzes im Jahr 2013 wurden unter anderem die LGBT-Aktivisten Nikolay Alexeev, Nikolay Baev und Alexey Kiselev nach diesem Gesetz mit Geldstrafen belegt. Im Januar 2014 hatten diese drei Aktivisten ihren Fall dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) unterbreitet und erklärt, dass ihre in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte verbrieften Rechte verletzt worden seien. Im Juni 2017 entschied das Gericht, dass Russland Artikel 10 (Recht auf freie Meinungsäußerung) und Artikel 14 (Diskriminierungsverbot) der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte verletzt habe und den Aktivisten eine Entschädigung zahlen müsse. Russland hat Rechtsmittel gegen die Entscheidung eingelegt.

Das Recht auf ein öffentliches Gerichtsverfahren ist ein wichtiger Schutzmechanismus für die Fairness und Unabhängigkeit von Gerichtsprozessen sowie eine Vorkehrung, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in das Justizsystem zu erhalten. Abgesehen von wenigen und eng definierten Ausnahmen, wie Gerichtsverfahren unter Beteiligung von Kindern, müssen Anhörungen und Urteile in Strafverfahren öffentlich sein. Das Recht auf ein öffentlichen Gerichtsverfahren bedeutet, dass nicht nur Vertreter_innen der Anklage und Verteidigung das Recht auf Anwesenheit haben, sondern auch die allgemeine Öffentlichkeit und die Medien.

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