Graffiti gegen sexuelle Belästigung in Kairo
Graffiti gegen sexuelle Belästigung in Kairo, 24. September 2012, © Amnesty International

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In Ägypten sind mittlerweile 76 Personen wegen ihrer vermeintlichen sexuellen Orientierung von den Behörden festgenommen worden. Mindestens 32 von ihnen wurden zu Haftstrafen verurteilt. Gleichzeitig diskutiert das ägyptische Parlament über einen neuen Gesetzentwurf, mit dem gleichgeschlechtliche Beziehungen kriminalisiert würden.

Mindestens 76 wegen ihrer vermeintlichen sexuellen Orientierung Inhaftierte, darunter: Frau Sara Hegazy
09. November 2017
UA-Nummer UA-231/2017-1
AI Index MDE 12/7410/2017

Sachlage

Laut der Menschenrechtsorganisation "Ägyptische Initiative für persönliche Rechte" ist die Zahl der Personen, die in Ägypten aufgrund ihrer vermeintlichen sexuellen Orientierung festgenommen wurden, von 57 auf mindestens 76 Menschen angestiegen. Die Festnahmen erfolgten im Anschluss an ein Konzert von Mashrou' Leila in der Hauptstadt Kairo am 22. September, auf dem Regenbogenflaggen geschwenkt wurden. 69 dieser Personen befinden sich in Haft, 32 sind zu Haftstrafen von zwischen sechs Monaten und vier Jahren verurteilt worden. Bei anderen steht der Urteilsspruch noch aus.

Im ägyptischen Parlament haben sich 67 Abgeordnete für einen Gesetzentwurf ausgesprochen, der "gleichgeschlechtliche Beziehungen" in Ägypten unter Strafe stellen würde. Die Gesetzesvorlage soll noch in der aktuellen Sitzung im Parlament geprüft und debattiert werden. Sollte sie angenommen werden, müsste sie noch dem Präsidenten zur Unterzeichnung vorgelegt werden. Je nach Art der Anklage sieht der Gesetzentwurf bis zu 15 Jahre Haft für die Betroffenen vor.

Der Gesetzentwurf verbietet unter anderem jegliche öffentliche Werbung für LGBTI-Veranstaltungen. Ein Verstoß gegen diese Bestimmung kann mit bis zu drei Jahren Haft geahndet werden. Zudem ist in der Gesetzesvorlage vorgesehen, die Behörden zu verpflichten, die Namen der unter dem Gesetz verurteilten Personen mitsamt der gegen sie verhängten Strafen in zwei beliebten nationalen Zeitungen abzudrucken. Dies würde das Stigma noch verstärken, dem sich homosexuelle bzw. vermeintlich homosexuelle Personen ausgesetzt sehen.

Amnesty International betrachtet Personen, die lediglich aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität inhaftiert sind, als gewaltlose politische Gefangene.

Appell an:

Innenminister
Magdy Abdel Ghaffar
Ministry of Interior
Fifth Settlement, New Cairo
ÄGYPTEN

Sende eine Kopie an:

Stellvertretende Beauftragte für Menschenrechte im Aussenministerium
Laila Bahaa El Din
Ministry of Foreign Affairs
Corniche el-Nile
Cairo
ÄGYPTEN
Fax: (00 202) 2574 9713
E-Mail: <link contact.us@mfa.gov.org>contact.us@mfa.gov.org</link>
Twitter: @MfaEgypt

Botschaft der Arabischen Republik Ägypten
S. E. Herrn Badr Ahmed Mohamed Abdelatty
Stauffenbergstraße 6-7
10785 Berlin
Fax: 030-477 1049
E-Mail: mbassy(at)egyptian-embassy.de

Hintergrundinformation

Bisher wurden in Ägypten Personen, denen gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen unterstellt wurden, unter dem Prostitutionsgesetz Nr. 10 von 1961 wegen "gewohnheitsmäßiger Ausschweifungen" angeklagt, worauf bis zu drei Jahre Gefängnis stehen kann. Der neue Gesetzentwurf wäre die erste ägyptische Gesetzesschrift, die den Begriff "Homosexualität" ausdrücklich definiert.

Die Einbringung der neuen Gesetzesvorlage erfolgte im Anschluss an ein Konzert von Mashrou' Leila in der Hauptstadt Kairo am 22. September, auf dem Regenbogenflaggen geschwenkt wurden und in dessen Folge die Behörden scharf gegen LGBTI (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intergeschlechtliche) vorgingen. An mindestens fünf der festgenommenen Personen wurden gegen deren Willen Rektaluntersuchungen vorgenommen, was gegen das im Völkerrecht verankerte absolute Verbot von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe verstößt. Festgenommen wurden zwei Personen, die auf dem Konzert Regenbogenflaggen geschwenkt haben sollen, sowie weitere Personen aus Kairo, Ismailia, Damiette und Scharm asch-Schaich, die nicht auf dem Konzert waren, aber ebenfalls wegen ihrer vermeintlichen sexuellen Orientierung ins Visier genommen wurden. Darüber hinaus bedienten sich die Behörden verschiedener Online-Datingseiten, um "verdächtige" Personen ausfindig zu machen und festzunehmen. Sara Hegazy ist eine der Personen, die derzeit von den Sicherheitskräften verhört werden.

Die Vorwürfe gegen die 67 inhaftierten Personen lauten unter anderem auf "gewohnheitsmäßige Ausschweifungen", "Anstiftung zu Ausschweifungen" und "Förderung sexueller Devianz". Hierbei handelt es sich um Anklagen unter dem Prostitutionsgesetz. Gegen Sara Hegazy und eine weitere Person werden dieselben Vorwürfe erhoben, und sie sind zusätzlich noch wegen "Mitgliedschaft in einer verbotenen Gruppe" angeklagt. Bei einem Schuldspruch könnten ihnen bis zu 15 Jahre Haft drohen. Im Verhör der Staatsanwaltschaft sagte Sara Hegazy aus, von ihren Zellengenoss_innen auf der Polizeiwache Saida Zenab in Kairo geschlagen und sexuell belästigt worden zu sein, nachdem man diesen mitgeteilt hatte, dass Sara Hegazy wegen "gewohnheitsmäßiger Ausschweifungen" angeklagt sei.

Als Konzertbesucher_innen in Kairo Regenbogenflaggen schwenkten, forderten die lokalen Medien empört, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Daraufhin kündigte die ägyptische Staatsanwaltschaft am 25. September an, unter dem Verdacht auf Förderung "gewohnheitsmäßiger Ausschweifungen" und "Homosexualität" Untersuchungen einleiten zu wollen. Zudem wurde die Staatsanwaltschaft der Staatssicherheit angewiesen, Untersuchungen gegen diejenigen einzuleiten, die Fahnen geschwenkt hatten.

Der Oberste Medienrat veröffentlichte eine Stellungnahme, in der allen Medienkanälen verboten wurde, LGBTI zu unterstützen oder sich mit ihnen zu solidarisieren. Stattdessen wurden die Mediensender aufgefordert, "gewohnheitsmäßige Ausschweifungen" und LGBTI bloßzustellen, da sie "nicht den Traditionen und der Kultur der ägyptischen Gesellschaft entsprechen" und da "dieses LGBTI-Phänomen nun ein Ende haben muss". Rechtsbeistände und NGOs in Ägypten sagten Amnesty International, dass die Zahl der Personen, die seit dem 22. September aufgrund ihrer vermeintlichen sexuellen Orientierung inhaftiert wurden, aller Wahrscheinlichkeit nach noch höher liegt, aber dass genaue Schätzungen aufgrund der hohen Frequenz der Festnahmen derzeit schwierig sind.

Dies ist die schlimmste Kampagne staatlich sanktionierter Homosexuellenfeindlichkeit in der jüngeren Vergangenheit Ägyptens, allerdings leider kein Einzelfall. Im Jahr 2001 wurden bei einer Razzia auf dem Schiff "Queen Boat", einem Nachtclub auf dem Nil, 52 Personen festgenommen und 23 Männer vor Gericht schuldig gesprochen. Laut der Menschenrechtsorganisation "Ägyptische Initiative für persönliche Rechte" waren bereits vor den Vorfällen der letzten Wochen in den vergangenen vier Jahren etwa 250 Männer wegen ihrer vermeintlichen sexuellen Orientierung festgenommen und vor Gericht gestellt worden.

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