Ungarisches Parlament in Budapest vor Regenbogenflagge © Amnesty International
Ungarisches Parlament in Budapest vor Regenbogenflagge © Amnesty International

Aktionen | Ungarn Ungarn: Eilaktion: Pride-Paraden müssen stattfinden dürfen!

Am 18. März verabschiedete das ungarische Parlament im Eiltempo ein Gesetz, das Pride-Paraden verbietet. Das Gesetz verbietet Versammlungen, die gegen das Anti-LGBTI+-"Propaganda-Gesetz" verstoßen, das LGBTI+-Sichtbarkeit fälschlicherweise als "schädlich für Kinder" darstellt. Unter diesem Gesetz können die Behörden Pride- oder andere LGBTI+-Veranstaltungen verbieten, die Teilnehmenden mit Geldstrafen belegen und die Organisator*innen zu bis zu einem Jahr Gefängnis verurteilen. Es erlaubt auch den Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie zur Verfolgung und Identifizierung der Teilnehmenden. Dies bedeutet eine ernsthafte Bedrohung der Privatsphäre und verbreitet Angst. Das Gesetz stellt eine schwere Verletzung der Menschenrechte dar, darunter die Rechte auf friedliche Versammlung, freie Meinungsäußerung, Privatsphäre und Nichtdiskriminierung.

 

UA-Nummer: UA-039/2025

AI Index: EUR 27/9273/2025

Sachlage

Das kürzlich verabschiedete Gesetz III aus dem Jahr 2025 kann nicht nur zum Verbot von Pride-Paraden verwendet werden, sondern sieht auch Geldstrafen für Teilnehmende und Strafanzeigen für Organisator*innen vor. Außerdem können die Behörden die Teilnehmenden mit Hilfe von invasiver Gesichtserkennungstechnologie überwachen. Dieses Gesetz ist ein klarer Verstoß gegen die internationalen und regionalen Menschenrechtsverpflichtungen Ungarns, einschließlich der Rechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit sowie der Rechte auf Privatsphäre und Nichtdiskriminierung.

Seit drei Jahrzehnten bemühen sich die ungarischen Pride-Organisator*innen und die Polizei darum, die Sicherheit und Würde aller Beteiligten zu gewährleisten. Pride ist eine friedliche Demonstration für Gleichheit und Gerechtigkeit. Das kürzlich verabschiedete Gesetz basiert jedoch auf Unwahrheiten, indem es die Sichtbarkeit von LGBTI+ als "schädlich für Kinder" darstellt und Angst statt Sicherheit schafft. Dieses Gesetz untergräbt nicht nur die Rechte von LGBTI+, sondern ist ein gefährlicher Präzedenzfall, der sich auf die Rechte aller auswirkt.

Es gehört zu den Pflichten der Polizei, alle Bürger*innen zu schützen und die Menschenrechte zu wahren. Es ist auch die Aufgabe der Polizei, das Recht der Menschen auf friedlichen Protest zu achten, zu schützen und zu fördern und keine diskriminierenden Gesetze durchzusetzen, die die Menschenrechte des Einzelnen verletzen. Die Welt schaut zu und erwartet den 30. Budapest Pride auf den Straßen.

 

Hintergrund

In den letzten zehn Jahren hat die ungarische Regierung eine Kampagne gegen Rechte von LGBTI+ geführt und dabei eine stigmatisierende Rhetorik verwendet und diejenigen in der Zivilgesellschaft ins Visier genommen, die sich für die Gleichstellung einsetzen. Am 11. März legten Abgeordnete der Fidesz-Partei, die die Regierungsmehrheit innehat, eine Reihe von Änderungen des ungarischen Grundgesetzes vor, um eine verfassungsrechtliche Grundlage für das Verbot der jährlichen Pride-Paraden zu schaffen. Am 17. März wurde von denselben Abgeordneten ein weiterer Gesetzentwurf zur Änderung des bestehenden Versammlungsgesetzes eingebracht. Der Gesetzentwurf wurde am darauffolgenden Tag im Schnellverfahren und ohne Konsultation durch das Parlament gebracht und als Gesetz III von 2025 verkündet, das am 15. April 2025 in Kraft trat.

Das neue Gesetz III von 2025 enthält vage Formulierungen, die es den Behörden erlauben, Versammlungen zu verbieten, die sich für die Rechte von LGBTI+ einsetzen und LGBTI+-Themen darstellen. Demnach ist es eine Straftat, Veranstaltungen abzuhalten oder zu organisieren, die gegen das ungarische "Propaganda-Gesetz" verstoßen, das die "Darstellung oder Förderung" von Homosexualität und verschiedenen Geschlechtsidentitäten bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren verbietet, und ein Bagatelldelikt, an solchen Veranstaltungen teilzunehmen. Insbesondere wurden harte Strafen eingeführt, darunter Geldstrafen von bis zu 200.000 HUF (etwa 500 Euro) für Personen, die an einer verbotenen Pride-Veranstaltung teilnehmen. Wer eine verbotene Versammlung abhält oder organisiert, wird nach dem geltenden Strafgesetzbuch strafrechtlich verfolgt und riskiert eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr. Das neue Gesetz erweitert auch den Bereich, in dem die Polizei eine angemeldete Versammlung auflösen kann. Das neue Gesetz besagt, dass die öffentliche Werbung für eine Versammlung, bevor die Anmeldung vorliegt und von der Polizei akzeptiert wird, an sich schon ein Vergehen darstellt. Der Zeitrahmen für die Anmeldung einer Versammlung wurde dahingehend geändert, dass Organisator*innen eine Veranstaltung höchstens einen Monat vorher anmelden dürfen. Die Pride-Organisator*innen können den Budapest-Pride also frühestens am 28. Mai anmelden.

Die neue Gesetzgebung erweitert auch den Anwendungsbereich der Gesichtserkennungstechnologie auf alle Bagatelldelikte, einschließlich Bagatelldelikte im Zusammenhang mit Versammlungen. Es gibt der Polizei und anderen Behörden einen Freibrief, das Gesicht einer Person auf der Straße oder auf öffentlichen Plätzen zu identifizieren, wenn die Behörde dies für "notwendig hält, um Straftaten zu verhindern, abzuschrecken, aufzudecken und zu unterbinden und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen", und zwar in Bezug auf jedes Bagatelldelikt. Dies ist besonders bedenklich im Hinblick auf eine mögliche Verwendung zur Identifizierung von Personen, die verdächtigt werden, an behördlich verbotenen Versammlungen wie den Prides teilzunehmen.

Diese Änderungen, insbesondere wenn sie im Ganzen betrachtet werden, untergraben die Grundrechte von LGBTI+ und ihren Unterstützer*innen, darunter das Recht auf friedliche Versammlung. Die Behörden versuchen tatsächlich, LGBTI+ aus der Öffentlichkeit zu verdrängen, indem sie die "Förderung" und "Zurschaustellung" von Homosexualität und Transgender-Identitäten bei Demonstrationen als verbotene "Inhalte" bezeichnen. Dieses diskriminierende Gesetz stellt auch einen schwerwiegenden Eingriff in die Privatsphäre aller Bürger*innen in Ungarn dar. Damit wird versucht, eine Atmosphäre der Angst und des Schweigens für diejenigen zu schaffen, die es wagen, eine andere Meinung zu äußern. Solche Maßnahmen bedrohen nicht nur die Privatsphäre, sondern auch das Wesen der freien Meinungsäußerung und das Recht, sich friedlich zu versammeln, und müssen daher zurückgenommen werden.

Im Vorfeld des Budapest-Pride erinnert Amnesty International die ungarischen Behörden daran, dass die Staaten gesetzlich und in der Praxis verpflichtet sind, friedliche Versammlungen zu schützen, zu respektieren und zu erleichtern. Das Recht auf friedliche Versammlung ist durch das Völkerrecht und internationale Standards, deren Vertragsstaat Ungarn ist, geschützt und sollte nicht von einer Genehmigung der Behörden abhängig gemacht werden. Solche obligatorischen Anforderungen sollten nicht als Mittel zur Kontrolle von Protesten eingesetzt werden. Vielmehr sollten sie lediglich als Mittel zur Information darüber verstanden werden, dass ein Protest stattfinden wird.

Jede Beschränkung von Versammlungen muss gesetzlich vorgeschrieben sein, aber auch kumulativ auf den Schutz eines legitimen öffentlichen Interesses abzielen, notwendig und verhältnismäßig sein, was bedeutet, dass das gleiche Ergebnis nicht durch andere, weniger restriktive Mittel erreicht werden kann. Das Verbot einer bestimmten öffentlichen Versammlung im Voraus muss daher immer eine Maßnahme des letzten Mittels sein, die auf einer Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände jeder Versammlung beruht.

Jede Entscheidung zur Auflösung einer Versammlung, sollte auch nur als letztes Mittel und im Einklang mit den Grundsätzen der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit getroffen werden, d. h. nur dann, wenn es keine anderen Mittel zum Schutz eines legitimen Ziels gibt, das über dem Recht auf friedliche Versammlung steht. In einer solchen Situation haben die Polizei und andere Strafverfolgungsbehörden so weit als möglich jegliche Gewaltanwendung zu vermeiden bzw. die Anwendung von Gewalt so gering wie möglich zu halten und die Grundprinzipien der Verhältnismäßigkeit, der Vorsorge und der Nichtdiskriminierung zu beachten.