Meldungen | Afrika | Kamerun : „Wir müssen hier weg!“

Interview zur Festnahme eines schwulen deutsch-kamerunischen Paares in Kamerun im Sommer 2006

Am 26. Juni 2006 wurden der Deutsche Max und sein kamerunischer Lebenspartner Jacques* bei einer Reise durch Kamerun in der Stadt Ngaoundéré verhaftet. Vier Tage wurde das Paar, das vor drei Jahren in Deutschland eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen war, festgehalten. Währenddessen standen sie telefonisch und per Email mit MERSI in Kontakt, in der Rundbriefausgabe 35 berichteten wir ganz aktuell dazu.

Zuletzt war Kamerun stark in die Kritik geraten, da neun Männer wegen angeblicher Homosexualität über ein Jahr lang festgehalten wurden. MERSI hatte sich an einer Eilaktion zur Forderung der sofortigen Freilassung der Gefangenen beteiligt. Am 13. Juni 2006 wurden alle Männer freigelassen, leider starb einer der Männer kurz danach. Am 11. Oktober 2006 legte die United Nations Working Group on Arbitrary Detention in einer öffentlichen Stellungnahme zu diesem Fall dar, dass die Haft der Männer eine willkürliche Freiheitsberaubung darstelle, die nicht mit dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vereinbar sei. Zudem wurde die kamerunische Regierung aufgefordert, alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Missstände zu beheben, darunter auch eine mögliche Aufhebung des „Sodomie“-Gesetzes.

Das Paar ist mittlerweile wieder in Deutschland. Über seine persönlichen Erfahrungen in Kamerun sprachen mit Max Stephan Cooper und Richard Harnisch von MERSI.

Wie geht es Dir heute?

Es ist mir mulmig, weil die Erinnerungen wieder hochkommen. Ich habe den Vorfall für mich noch nicht abgeschlossen. Es ärgert mich, dass die an dem Vorfall beteiligten Polizisten für ihre Taten nicht belangt werden können. Die haben mir mehrere Tage die Hölle heiß gemacht und mein starker rechtsstaatlicher Gedanke, dem ich immer vertraut habe, ist dadurch sehr erschüttert worden.

Kannst Du kurz die Ereignisse Eurer Festnahme schildern?

Wir sind morgens sehr früh aus dem Hotel gegangen, weil wir einen zeitigen Bus nehmen wollten, um weiterzureisen. Vor dem Hotel warteten zwei Männer, die sich als Polizisten ausgaben. Sie haben uns ohne Begründung festgenommen und wollten uns auf Mopedtaxis mitnehmen. Da ich mich weigerte, auf ein Moped zu steigen, sind wir die zwei bis drei Kilometer zur Polizeistation zu Fuß gegangen. Uns war klar, dass die uns wegen Homosexualität festgenommen haben. Unsere Eheringe haben wir auf dem Weg zur Polizeistation abgenommen. Als wir in einem Laden Telefonkarten kauften, haben wir sie in den Rohren vom Rucksack versteckt.

Wir kamen in der Polizeistation an, wurden abgesetzt, haben etwa eine halbe Stunde gewartet. Sie haben uns gleich zu Beginn die Pässe abgenommen. In dem Gebäude war ein Gefängniskäfig wie eine Garage. Dort waren viele Leute eingesperrt, mindestens vierzig. Aber uns ist dort nichts weiter passiert. Später sind wir zu einer anderen Polizeistation gegangen. Kein offizielles Schild, keine Ausweise, gar nichts. Uns wurde von einem Polizisten gesagt, dass es verboten sei, dass zwei Männer zusammen in einem Hotelzimmer übernachteten und dass außerdem die Hotels auf Homosexuelle geprüft würden. Ob wir schwul seien, wurden wir nie gefragt.

Wie wurdet ihr von der Polizei behandelt?

Wir wurden mehrfach befragt, meist getrennt voneinander und die Polizisten verlangten, dass wir Protokolle unterschreiben. Jacques hat unter großen Drohungen ein Protokoll unterschrieben, in welchem auch vermerkt war, dass wir sexuellen Kontakt gehabt hätten. Ich habe ein anderes Protokoll mit dem Vermerk „der französischen Sprache nicht mächtig“ unterschrieben.

Der Polizei ging es hauptsächlich darum, Geld zu erpressen, es wurde sogar regelrecht darum verhandelt. Für 300,000 kamerunische Francs [ca. 450 €, Anm. d. Red.] hätten wir uns freikaufen können. Wir haben ihnen 90,000 geboten, das war alles, was wir anbieten konnten. Körperlich sind wir unversehrt geblieben, aber die Polizei hat alles daran gesetzt, uns psychisch fertig zu machen, es wurde eine wahnsinnige Drohkulisse aufgebaut. Uns wurde mit „ärztlichen Untersuchungen“ gedroht, womit man homosexuellen Geschlechtsverkehr beweisen wolle. Außerdem sagte der Kommissar zu mir, dass er den Namen meines Freundes habe und dass es ein leichtes für ihn sei, seine Familie zu vernichten. Zuletzt drohte er auch noch damit, seine Leute zur Radiostation zu schicken und dort verkünden zu lassen, dass er hier zwei Homosexuelle festgenommen habe. Wenn dann die Leute zusammenkämen, wisse er nicht, ob er uns dann noch beschützen könne.

Welche Gedanken und Gefühle hattest Du während der Zeit, in der ihr festgehalten wurdet?

Dazu muss ich zunächst sagen, dass Jacques während der ganzen Reise bis dorthin sehr darauf bedacht war, auf keinen Fall aufzufallen, und er war vor allem in der Öffentlichkeit sehr distanziert. Wir hatten nun wirklich nichts Unrechtes getan und mein erster Gedanke war daher, dass die uns ja gar nichts anhaben können. Das war meine große Sicherheit, der ich zunächst vertraute. Je länger es aber andauerte, desto mehr merkte ich, dass dieses Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit in Kamerun nicht viel zählt. Im Gegenteil: Das Rechtssystem funktioniert wenig, man ist in diesem Land quasi vogelfrei. Meine Untersuchungshaft bei der Stasi war dagegen lächerlich.

Besonders besorgt war ich wegen Jacques. Er war wie ausgetauscht, hypnotisiert. Er hatte wahnsinnige Angst, so hatte ich ihn noch nie erlebt. Sein einziger Gedanke war: „Wir müssen hier weg!“. Am schlimmsten war es am ersten Abend. Wir waren bis 23 Uhr auf der Polizeistation und die Polizisten wollten uns schließlich irgendwann loswerden, am nächsten Morgen sollten wir wiederkommen. Ich fürchtete mich sehr vor der Lynchjustiz, mit der uns ja bereits offen gedroht worden war. Schließlich übernachteten wir in einer kleinen auberge. Wir hatten panische Angst. Wir waren dort abgestellt ohne Pass, die Drohung der Lynchjustiz schwebte über uns. Wir haben versucht, einige unserer dafür verwendbaren Gegenstände zu unserer Selbstverteidigung bereitzuhalten, falls man uns nachts in der auberge heimsuchen würde. Campingkocher als Flammenwerfer, Messer griffbereit, kochendes Wasser.

Auf welchem Wege seid ihr schließlich freigekommen und welche Rolle haben die deutsche Botschaft und amnesty international gespielt?

Ich weiß nach wie vor nicht, auf welchem Wege wir letztendlich freigekommen sind. Wir hatten während der ganzen Zeit die Möglichkeit zu telefonieren und auch das Internet konnten wir bisweilen nutzen. Bereits am ersten Tag der Festnahme haben wir Kontakt zur deutschen Botschaft aufgenommen. Deren Nummer hatte ich nur zufällig zur Hand, da ich auf meiner Digitalkamera einige Tage zuvor ein Foto eines Wandkalenders gemacht hatte, auf dem alle möglichen Kontakte zu ausländischen Vertretungen in Kamerun verzeichnet waren. Über eine französische Journalistin, für die Jacques mal ein Interview gemacht hatte, wurde der Kontakt zu MERSI hergestellt.

Die Deutsche Botschaft hat getan, was sie konnte und die Krisenstelle hat mit dem Justizministerium verhandelt. Die Botschaft hat auch die Rechtsanwältin Alice Nkom eingeschaltet [die auch eine Gruppe homosexueller Gefangener betreut hat, vgl. MERSI-Rundbrief 35, Anm. d. Red.]. Die Botschaft hat während der Kommunikation mit der Polizei erwähnt, dass amnesty international informiert sei. Dadurch war der Kommissar im Sachzwang, nicht aufzugeben, vielmehr war er nun in der Pflicht die vorgefallenen Ereignisse zu rechtfertigen. Letztendlich habe ich die Einflussmöglichkeiten der Botschaft jedoch überschätzt. Nach einigem nervenzehrenden hin und herbei der Polizei hatten wir am letzten Tag einen Termin beim Staatsanwalt. Nach etwa zehn Minuten händigte er uns unsere Pässe aus und sagte, wir können gehen.

Amnesty international war für mich vor allem eine große emotionale Stütze während der ganzen Zeit. Es war gut, mit MERSI Kontakt zu haben, telefonieren zu können und zu wissen, dass wir nicht alleine sind - dass im Hintergrund Menschen sind, die sich für die Vorfälle interessieren und darauf aufmerksam machen.

Hatte Eure Festnahme Auswirkungen auf Jacques Familie?

Ja, seit kurzem. Seine Mutter wird gemobbt. Sie wird dazu gedrängt, ihren Frisörladen, den sie auf einem Hotelgelände in Douala betreibt, aufzugeben. Aber sie ist sehr stark und lässt sich nicht so leicht kleinkriegen. Ansonsten redet sie aber nicht viel darüber.

Wirst Du wieder nach Kamerun reisen?

Auf jeden Fall. Meine erste Reise war nicht die letzte in dieses Land.

Vielen Dank für dieses offene Gespräch.

* Die Namen wurden von der Redaktion geändert.

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