Ohne die Möglichkeit des öffentlichen Auftretens haben sich Lesben und Schwule in eigenen kleinen Gruppen zusammengefunden. Im Januar fand in der nordserbischen Stadt Novi Sad sogar ein Treffen dieser Gruppen statt.
Im März besuchten zwei aktive Menschenrechtler Deutschland: Snezana (Name geändert) ist Mitglied der Lesbengruppe Labrys, Dusan Mitglied der Schwulengruppe Arkadija. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion in Köln, die von Amnesty International veranstaltet wurde, berichteten sie über ihre Situation.
ai: Könnt Ihr uns von der augenblicklichen Lage von Lesben und Schwulen in Serbien und Montenegro berichten ?
Snezana: Wir haben eine lesbische Gruppe (genannt: Labrys), die 1995 von der schwul-lesbischen Interessenvertretung Arkadija abgespalten wurde. Ungefähr zwanzig Frauen kommen regelmäßig zu unseren Treffen, Oft tauchen Frauen auf und verschwinden wieder, denn in Jugoslawien interessieren sich nicht viele Lesben für politisches Engagement.
ai: Welches sind die Ziele dieser lesbischen Gruppe?
Snezana: Nun, die Ziele von Labrys sind, lesbische Rechte als einen Teil von allgemeinen, grundlegenden Menschenrechten auch im Sinne der Frauenrechte zu fördern, die Redlichkeit der lesbischen Existenz in der Gesellschaft aufzuzeigen und die Angleichung lesbischer Rechte an die Menschenrechte; ein weiteres Ziel ist möglichst viele Lesben zu erreichen, das Schweigen und die Isolation innerhalb der jugoslawischen Gesellschaft zu durchbrechen, aufzuzeigen, dass Labrys ein Ort ist, an dem Lesben spüren, dass niemand über sie lacht oder sie diskriminiert, wo sie klipp und klar sagen können: ich bin lesbisch. Wir haben auch einen GayClub, der von vielen Schwulen frequentiert wird.
ai: In Belgrad?
Snezana: Ja, dies alles, von dem ich spreche, spielt sich in Belgrad ab. Man kann Belgrad als eine Art Schwulen- und Lesbenzentrum bezeichnen.
ai: Zur Politik, Warum wurde alle schwullesbische Gruppe Arkadija verboten?
Dusan: Arkadija war nie verboten. Es gab keine offizielle Unterdrückung unserer Arbeit. Allerdings reduzierte Arkadija seine Arbeit in der jüngsten Vergangenheit etwas.
ai: Erstaunlich ist, dass Künstler und Philosophen Homosexualität objektiver dlskutieren, Euch aber nicht unterstützen.
Dusan: Ganz Serbien hatte nie eine bedeutende intellektuelle Szene. Es gibt wohl individuell ein paar international Bedeutsame. Der Nobelpreisträger Ivo Andric zum Beispiel. Hinzu kommt, dass dieAkademie der Wissenschaften und Künste Milosevic sogar schon vor dem Krieg unterstützte National-Intellektuelle also-für mich keirie wirklichen Intellektuellen.
ai: Sind die Menschenrechte in JugosIawien in bezug auf Homosexuelle beschnitten?
Dusan: Ja, sie sind es. Homophobie existiert in allen Schichten der Gesellschaft, angefangen in den Familien, wo es starke Repressionen gibt, wenn die Homosexualität eines Familienmitglieds herauskommt. Die Schule gewährt keinen Sexualkundeunterricht und wenn dann nicht in der Weise, dass Homosexualität etwas Positives sein könnte. An universitären Fakultäten gilt Homosexualität noch immer als eine Krankheit.
ai: Kann man Zärtlichkeiten auf der Straße austauschen?
Dusan und Snezana: Nein, nein, nein!
Snezana: Wenn zwei Lesben in der Straße Händchen halten, würden die Leute keine Kommentare abgeben. Beim Küssen auf der Straße würden die Leute glotzen, vielleicht lachen, es gäbe aber wohl keine Tätlichkeiten, auch keine verbalen. Aber wenn zwei Männer all dies tun würden, würde es für sie ganz klar ein Problem werden, denn es gibt viel tätliche Gewalt gegen Schwule in Serbien. Ein solches Risiko will natürlich kein Schwuler eingehen.
ai: Ist es möglich jemanden wegen öffentlichen Ärgernisses oder Ähnlichem ins Gefängnis zu liefern?
Dusan: Nein, man kann wegen Homosexualität nicht gerichtlich verfolgt werden, wenn man älter als 18 Jahre ist.
ai: Und die Polizei schreitet auch nicht ungerechtfertigterweise mal ein?
Dusan: Vielleicht mal aus individueller Homophobie gewisser Polizisten heraus. Es gibt da aber keine Bestimmungen oder Verhaltenskodizes wie man gegen Homos in der Öffentlichkeit vorzugehen hat?
Snezana: Wenn man aber in einer wichtigen Funktion arbeitet, kann man beim Bekanntwerden der eigenen Homosexualität diese Position verlieren. Das alles bedeutet schließlich Homophobie und Diskriminierung.
RECHTLICHE SITUATION
Im jugoslawischen Strafgesetzbuch vom 30.06.1959 waren sexuelle Handlungen zwischen Männern verboten.
In der ersten Hälfte der 70er Jahre wurde die Gesetzgebung des Bundesstaates auf die Ebene der acht Teilrepubliken und Provinzen verlagert. Serbien und Kosovo hielten an dem Verbot fest: Artikel 110.3 und 81.2 des ab 1977 gültigen Strafgesetzbuchs sahen für homosexuelles Verhalten ("unnatürliche Ausschweifungen") Haftstrafen bis zu einem Jahr vor.
In der Vojvodina und in Montenegro wurden sexuelle Handlungen zwischen Männern entkriminalisiert. Jedoch wurde das Schutzalter für Homosexuelle auf 18 Jahre festgesetzt, während es für Heterosexuelle bei 14 Jahren lag. Lesbische Beziehungen waren nicht erwähnt. Im Jahr 1994 wurde auch in Serbien und im Kosovo das Verbot gleichgeschlechtlicher Beziehungen vollständig aufgehoben.
Artikel 110 sieht nun lediglich für "unanständige Handlungen" gegen die Natur mit Personen unterhalb des Schutzalters von 14 Jahren Haftstrafen bis zu einem Jahr vor.