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CSD in Weißrussland

Meldungen | Weißrussland : Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender (LGBT) in Weißrussland

Am 15. Mai 2010 findet der zweite CSD in der Geschichte Weißrusslands statt. Im letzten Jahr wurde in der Hauptstadt Minsk eine landesweite LGBT -Konferenz abgehalten. Im Folgenden dokumentieren wir eine Einschätzung der aktuellen Situation.

Homophobie ist nicht irgendein Thema, denn sie folgt der Ideologie des Hasses, nicht anders als Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Faschismus und Sexismus auch. Sie gefährdet das soziale Gemeinwesen, weil sie die Ausübung von Gewalt und Diskriminierung mit der sexuellen Orientierung einer Person rechtfertigt. Homophobie wird von Konservativen und Rechtsextremen dazu benutzt, ein gemeinsames Feindbild zu zeichnen. Eine Gruppe von Menschen wird für alle Probleme und Ungerechtigkeiten der Gesellschaft verantwortlich gemacht, um andere Gruppen gegen diese „Feinde“ aufzubringen.
In der UdSSR war männliche Homosexualität im Strafrecht verfolgt worden, nach der Unabhängigkeit Weißrusslands wurde der Strafrechtsartikel dann abgeschafft. Die Unterdrückung von LGBT durch staatliche Instanzen fand jedoch auch weiterhin statt: durch Unsichtbarmachen und Falschinformation.

Sexuelle Orientierung ist im Strafrecht Weißrusslands nicht gesondert als Bestandteil des Diskriminierungsverbots aufgeführt. Dies ist einer der Gründe für die notorische Untätigkeit der Justiz in Fällen von Gewalt und gewalttätigen Angriffen gegen LGBT.

Die Solidarisierung innerhalb der LGBT-Community in Weißrussland steckt derzeit noch in ihren Anfängen. Erst seit 2008/2009 entstanden nach und nach organisierte Strukturen, die kontinuierliche und konstruktive Aktivitäten und Lobbyarbeit leisten können. Die TeilnehmerInnen und OrganisatorInnen von öffentlichen LGBT-Veranstaltungen und Partys werden oftmals von Neonazis und jugendlichen Schlägern angegriffen. Öffentliche Aktionen der LGBT-Community werden unterdrückt. Die Diskriminierung und Gewaltbereitschaft liegen in der Homophobie der weißrussischen Gesellschaft begründet. Dieses Phänomen ist eines der großen Probleme des Landes. Auch in Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und politischen Parteien ist es weit verbreitet.

Vor allem lesbische und bisexuelle Frauen werden marginalisiert – sie sind in der Öffentlichkeit nicht sichtbar. Labrys, eine neue und vielversprechende Organisation junger, engagierter Lesben, hat keinerlei Möglichkeit, sich als Verein registrieren zu lassen. Die Gruppe engagiert sich für die Integration der Lesben-Community und bietet psychologische Unterstützung für die Frauen an. Außerdem stellt die Organisation Video-Clips gegen Homophobie zur Verfügung.
Die Geschichte der LGBT-Bewegung als Subkultur und politische Bewegung begann in Weißrussland in den 1990er Jahren. Sie wurde getragen von einer Generation engagierter Menschen, die - trotz der ökonomischen Verwerfungen und unter großer Gefahr für die eigene Sicherheit – die historische Gelegenheit nutzten. Sie schufen eine Infrastruktur: verschiedene LGBT-Zeitschriften, schwule Clubs und Treffpunkte, informelle Gruppen und Aufsehen erregende Travestieshows. Im September 2001 fand in Minsk der erste CSD der GUS-Staaten statt.

Aufgrund staatlicher Repression und einer Verschärfung der Situation unter dem Präsidenten Lukaschenko waren die aktivsten Mitglieder der Bewegung jener Zeit jedoch gezwungen, das Land zu verlassen. Lukaschenko, wohl bekannt für seine antisemitischen Hassreden und Sympathien für Hitlers Politik, hat Homosexualität öffentlich als „westliche Seuche“ betitelt.

Die rechtliche Situation für LGBT in Weißrussland ist erschütternd: Es gibt keinen speziellen Antidiskriminierungsparagraphen; AktivistInnen der LGBT-Community sind ständig der Willkür von Behörden und Polizei ausgesetzt.

Ein zunehmendes Problem ist auch die Mehrfachdiskriminierung von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgendern mit afrikanischen oder asiatischen Wurzeln. Diese Menschen leiden gleichermaßen unter Homophobie und Rassismus. Auch steht der Vorwurf im Raum, noch immer gebe es Zwangseinweisungen in die Psychiatrie, Behandlung mit Elektroschocks und die Verabreichung hoch dosierter Psychopharmaka.

Am 26. September 2009 fand in Minsk die größte LGBT-Konferenz in der Geschichte Weißrusslands statt. Als Ergebnis wurde eine für weißrussische Verhältnisse sehr radikale Abschlusserklärung abgegeben. Darin wird gefordert, „sexuelle Orientierung“ und „geschlechtliche Identität“ in die Antidiskriminierungsgesetzgebung aufzunehmen, ebenso als Merkmal in die Abschnitte des Strafgesetzbuchs, in denen Aufstachelung zu Hass und Vorurteilen geahndet wird, sowie die Gleichstellung homosexueller Paare im Familienrecht. Weiterhin wird das Recht der LGBT-Organisationen auf Eintragung ins Vereinsregister bekräftigt und ein Ende staatlich sanktionierter Blockaden von LGBT-Internetseiten verlangt. Bei der Konferenz wurde außerdem beschlossen, den nächsten CSD, den „Slavic Pride“, am 15. Mai 2010 abzuhalten.
Die Verabschiedung der Resolution dieser Konferenz führte zu leidenschaftlichen Diskussionen im Publikum. Beispielsweise kritisierten AnarchistInnen, der Bezug auf das Slawentum sei ausschließend. Es gebe in Weißrussland schließlich nicht nur SlawInnen, sondern ebenso JüdInnen, TatarInnen, Roma, AraberInnen, PerserInnen, IranerInnen, ChinesInnen, GeorgierInnen und andere – darunter natürlich genauso Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transgender.

Am 15. Mai wird sich zeigen, ob es in der weißrussischen Bevölkerung eine echte Akzeptanz für die LGBT-Community gibt, wenn der zweite CSD des Landes stattfindet. Die Gesamtsituation, geprägt durch Vorenthaltung von Rechten und Diskriminierung gegenüber LGBT, kann nur durch eine Bewegung verbessert werden, die radikal für die Rechte von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgendern eintritt.

Wolja Martynenka (Weißrussland)

Nachtrag: Rund 40 AktivistInnen führten den CSD trotz des unter fadenscheinigen Gründen erlassenen Verbots der Stadtverwaltung von Minsk durch. Diese hatte sich auf ein Gesetz berufen, nach dem keine Versammlungen in der Nähe von Fußgängertunneln und Metro-Stationen stattfinden dürfen. Die Demonstration wurde umgehend von Spezialeinheiten der Polizei aufgelöst. Mehrere Personen wurden festgenommen und werden nun juristisch belangt.

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