C.dIM-S: Wie kommt es, dass es drei aiGruppen gibt, die unter den schwierigen Bedingungen in Weißrussland arbeiten?
Viacheslav: Es gibt jetzt drei Gruppen in Weißrussland. Eine in Gomel (gegründet 1993) und zwei Initiativgruppen [in Gründung befindliche Gruppen]. Die eine, in Minsk, wurde 1998 gegründet, die andere, in Petrikov, 2000. Wir haben auch ca. 50 Einzeimitglieder in verschiedenen Teilen des Landes. Ai-Gomel (Weißrussland 1), die Gruppe, in der ich Koordinator bin, wurde durch drei Aktive ins Leben gerufen, nachdem sie 1993 die Zentrale von ai-Ukraine besucht hatten. Einer ist Journalist, der zweite Musiker und der dritte Universitätsdozent. Am Anfang, bevor Lukaschenko Präsident geworden ist, hatten wir keine Schwierigkeiten bei der ai-Arbeit. Aber die Zeiten haben sich geändert.
C.dIM-S: Was genau sind die Probleme, die Sie bei der Arbeit haben?
Viacheslav: Eine der größten Schwierigkeiten, mit denen wir konfrontiert sind, ist, dass wir eine Nicht-Regierungsorganisation (NGO) sind. Wir haben mehrere Versuche bei den Kommunalbehörden und beim Justizministerium unternommen, um die Gruppe registrieren zu lassen, aber ohne Erfolg. Die Regeln für die Registrierung von NG0s in Weißrussland sind sehr eng. Viele bekannte weißrussische Organisationen sind nicht registriert, z.B. Lambda Weißrussland und mehrere Jugendorganisationen. Nicht-Regierungsorganisationen haben kein Recht, öffentliche Veranstaltungen zu organisieren, und kein Recht auf Meinungsfreiheit. Sie müssen im Verborgenen arbeiten, wenn sie keine Probieme bekommen wollen. Trotz solcher Zustände veranstalten ungesetzliche NG0s öffentliche Meetings, organisieren Bildungsprojekte, machen Offentlichkeitsarbeit in den oppositionellen Medien. 1999 haben wir eine große Plakatausstellung, "Menschenrechte an der Schwelle zum 3. Millennium", in der Ausstellungshalle der staatlichen Universität von Gomel gezeigt. Nach der Eröffnung baten uns die Universitätsbehörden, die Plakate zu Weißrussland und China zu entfernen. Die Uni hat sehr enge Beziehungen zur staatlichen Universität in Peking
C.dIM-S: Viele unserer Leserlnnen werden es vielleicht schwierig finden, solche Zustände zu begreifen, Haben Sie noch mehr Beispiele?
Viacheslav: 2001 sind der Computer der Gruppe und unsere Dateien kurz vor den Präsidentschaftswahlen aus unserem Büro gestohlen worden. Das Büro war in der Wohnung unseres Mitglieds und schwulen Aktivisten Andrei S. Die gestohlenen Disketten enthielten Informationen zu "Verschwundenen" in Weißrussland. Eine unabhängige Untersuchung wurde von der Polizei nicht durchgeführt. 2002 hat Aleksandr A., amnesty-Mitglied und Mitarbeiter des Gomeler Zweigs des Weißrussischen Jugendvereins, seinen Job verloren, nachdem er Protestbriefe an die Türkische Botschaft in Minsk geschickt hatte. Die Botschaft betrachtete seine Briefe als eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Türkei und bat das weißrussische Außenministerium um eine Stellungnahme. Da der Jugendverein keinen Ärger mit dem Außenministerium habe wollte, haben sie Aleksandr entlassen und ihn aus der Organisation ausgeschlossen. Das sind nur drei Beispiele für die Probleme, die wir haben.
C.dIM-S: Werden Sie diskriminiert, wenn Sie offen schwul oder lesbisch sind? Sind Sie in der Lage, zu LGBT-Themen zu arbeiten? Und wenn ja, was tun Sie?
Viacheslav: Homosexualität wurde 1994 in Weißrussland entkriminalisiert, aber die Macht der stereotypen Denkweise ist stärker als jegliche gesetzliche Entwicklung. Es ist unmöglich, eine gute Stelle zu bekommen, wenn jemand offen schwul oder lesbisch ist. Das staatliche Bildungssystem, leitende Stellen in der Kommunalverwaltung und in Regierungseinrichtungen stehen für Homosexuelle nicht zur Verfügung. Es gibt keine weißrussischen Prominenten, die offen als Schwule oder Lesben leben. Das schwule Leben ist hier sehr eingeengt. Die Behörden habe Gründe gefunden, um den einzigen schwulen Club zu schließen. Pride-Feste wurden Die vollständigen Namen aller genannten Personen sind bekannt, aber aus Sicherheitsgründen teilweise abgekürzt. 1999 und 2000 von den Behörden abgebrochen, und ausländischen Gästen, die 2001 am Gay Pride teilnehmen wollten, wurden keine Visa erteilt. Die PrideVeranstaltungen 2002 fanden hinter verschlossenen Türen statt - nur mit der Zielgruppe und einigen Journalisten. Vier Männer aus meiner Heimatstadt Gomel haben mir erzählt, dass sie vor einem Monat im Polizeirevier des Zentralbahnhofs (ein häufig frequentiertes Cruising-Gebiet) mehrere Stunden festgehalten wurden. Die Polizei hat sie fotografiert und sie darüber informiert, dass sie eine Datenbank zu Schwulen hat, die den Bahnhof besuchen. Ai-Gomel ist im Vergleich zu den anderen weißrussischen ai-Gruppen verhältnismäßig groß. Bei ai-Gomel ist LGBT-Arbeit einer der Schwerpunkte. Wir sind in der Lage, uns an internationalen Kampagnen zu LGBT-Themen zu beteiligen. Für die Behörden ist es unmöglich, solche Sachen zu kontrollieren. Wir organisieren auch regelmäßig Meetings mit Rednern und Videos innerhalb die LGBT-Gemeinschaft in Gomel und nehmen auch an landesweiten Treffs der Lambda Weißrussland teil. Wir haben Kontakt zu allen schwulen und lesbischen Gruppierungen in Weißrussland. Wir haben auch LGBT-Nachrichtenseiten in dem landesweiten Rundbrief "amnesty international in Weißrussland". In den letzten zwei Jahren haben wir es geschafft, dass uns führende Aktivisten aus Westeuropa in Gomei besucht haben. Sehr interessant war der Besuch von Stig Petersson, dem Internationalen Sekretär der RFSL (Schweden), von Martin Lunnon von ai-LGBT-UK, und der Besuch von Dave K. Maini von Stonewall-UK.
C.dIM-S: Ist es auf dem Lande oder in der Stadt schwieriger, schwul oder lesbisch zu sein ?
Viacheslav: Die Lage ist sehr ähnlich der in anderen Ländern. Lesben und Schwule auf dem Lande haben sehr begrenzte Möglichkeiten, ihr Privatleben so zu gestalten, dass sie dabei glücklich sein können. Und das sind die Aufgaben von LGBT-NG0s und den Massmedien, wie im Lied von Jimmy Somerville: "Don't leave them that way" (Lass sie nicht so weiterleben.) Das ist unsere gemeinsame Aufgabe.
Die vollständigen Namen aller Personen sind bekannt, aber aus Sicherheitsgründen teilweise abgekürzt.