Polizeiaufmarsch beim Verbot des Istanbul Pride 2016
Polizeiaufmarsch beim Verbot des Istanbul Pride 2016 – Foto: © Begum Basdas

Aktionen | Türkei : Urgent Action: Veranstaltungen zur Gay Pride Week verboten

Am 14. Juni verbot die Provinzverwaltung von İzmir sämtliche Veranstaltungen zum diesjährigen Christopher Street Day. Einen Tag später folgte Antalya diesem Beispiel. Auch in anderen Städten wurden Veranstaltungen für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI) verhindert oder sollen noch verboten werden – auch in Istanbul, wo die Pride-Parade das fünfte Jahr in Folge gefährdet ist.

Update vom 16. Juli 2019:

Sachlage

Die türkischen Behörden haben sich geweigert, das rechtswidrige Verbot der im Juni und Juli geplanten Pride-Veranstaltungen in der Türkei aufzuheben und das Recht auf friedliche Versammlung ohne Diskriminierung der LGBTI-Community und ihrer Verbündeten zu schützen.

Am 14. Juni verbot die Provinzverwaltung von Izmir sämtliche Veranstaltungen zum diesjährigen Christopher Street Day. Einen Tag später folgte Antalya diesem Beispiel und am 25. Juni die Provinzverwaltung von Mersin. Die Organisator_innen konnten einige in Räumlichkeiten geplante Veranstaltungen dennoch durchführen. Die Organisator_innen der Pride-Veranstaltungen in Izmir berichteten, dass am 22. Juni 20 Teilnehmende des Izmir Pride, unter ihnen auch drei Minderjährige, auf Polizeiwachen gebracht wurden. Zwar kamen sie noch am selben Tag wieder auf freien Fuß, doch erst nach Feststellung ihrer Personalien.

Das Büro des Gouverneurs von Istanbul verbot die für den 30. Juni geplante CSD-Parade auf dem Taksim-Platz, in Zentrum von Istanbul und auch an anderen Orten der Stadt. Die Organisator_innen des Istanbul Pride verhandelten daraufhin bis zur letzten Minute mit der Polizei. Schließlich wurde erlaubt, dass sich die Teilnehmenden in der Mis-Straße in der Nähe des Taksim-Platzes versammeln durften, wo die Vertreter_innen der Pride-Organisationsgruppe eine Presseerklärung verlasen. Doch die Polizei setzte Tränengas und Gummigeschosse gegen Teilnehmende des Pride ein, die die Mis-Straße verließen und in kleinen Gruppen in angrenzenden Straßen weiterfeierten. Dies war ein willkürlicher und exzessiver Einsatz von Polizeigewalt gegen friedliche Pride-Teilnehmende.

Das harte Vorgehen gegen die LGBTI-Community in der Türkei ist 2019 fortgesetzt worden, obwohl der Ausnahmezustand im Juli 2018 endete. Der Istanbul Pride wird schon seit 2015 jedes Jahr rechtswidrig von den türkischen Behörden verboten.

Vielen Dank allen, die Appelle geschrieben haben. Weitere Aktionen des Eilaktionsnetzes sind zurzeit nicht erforderlich.


UA-Nummer UA-086/2019
AI Index EUR 44/0541/2019

Sachlage

Dieses Jahr jähren sich die Aufstände um die Bar Stonewall Inn in der New Yorker Christopher Street zum 50. Mal. Damals wehrten sich Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intergeschlechtliche (LGBTI) mutig gegen Polizeigewalt und stießen damit eine Emanzipationsbewegung an. Weltweit wird jedes Jahr mit zahlreichen Demonstrationen und Veranstaltungen an dieses Ereignis erinnert. Auch in der Türkei sind anlässlich des Christopher Street Day zahlreiche Pride-Paraden geplant, unter anderem am 22. Juni in İzmir, am 30. Juni in Istanbul und Anfang Juli in Mersin.

Doch trotz der Beendigung des Ausnahmezustands im Juli 2018 setzt sich das harte Vorgehen gegen die LGBTI-Community in der Türkei fort. Der seit 2003 jährlich stattfindenden Pride-Parade in Istanbul droht im fünften Jahr in Folge ein rechtswidriges Verbot. Am 10. Mai 2019 wurde bereits eine von Studierenden der Middle East Technical University (METU) in Ankara organisierte Pride-Parade von der Polizei gewaltsam aufgelöst. Mit ihren Verfügungen vom 14. beziehungsweise 15. Juni verbieten die Behörden in İzmir und Antalya nicht nur die Pride-Paraden, sondern sämtliche Veranstaltungen, die damit im Zusammenhang stehen. Begründet wird dies unter anderem mit hypothetischen Risiken für die Sicherheit und die öffentliche Ordnung.

Das Recht auf friedliche Versammlung ist sowohl durch türkisches als auch internationales Recht geschützt und kann nicht mit vagen Begründungen eingeschränkt werden. Staaten – und ihre Sicherheitskräfte – haben die Verpflichtung, die Wahrnehmung des Rechts auf friedliche Versammlung zu erleichtern und die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten.

Die jüngsten Pauschalverbote der Pride-Paraden von İzmir und Antalya sind rechtswidrig und müssen sofort aufgehoben werden. Die Verhinderung von Veranstaltungen im Rahmen des Christopher Street Day in diesen und anderen Städten stellt eine Verletzung des Rechts auf friedliche Versammlung und der Meinungsfreiheit in der Türkei dar.

Die Behörden müssen die rechtswidrigen Verbote der LGBTI-Veranstaltungen aufheben und sicherstellen, dass diese ohne Zwischenfälle stattfinden können. Sie müssen das Recht auf friedliche Versammlung schützen und die Diskriminierungen einstellen.

Hintergrundinformation

Am 14. Juni 2019 gab die Provinzverwaltung İzmir auf ihrer Website das Verbot der LGBTI-Veranstaltungen bekannt, die zwischen dem 17. und dem 23. Juni – in der Gay Pride Week – in İzmir geplant sind. So solle „der Frieden und die Sicherheit der Bewohner, das Recht auf körperliche Unversehrtheit, [...] die öffentliche Sicherheit, die nationale Sicherheit, die öffentliche Ordnung und die allgemeine Moral bzw. die Rechte und Freiheiten anderer geschützt sowie mögliche Gewalt und Terrorismus verhindert werden“. Am Tag darauf wurden die Organisator_innen der Pride Week in Antalya durch die Provinzverwaltung Antalya mit einer ähnlichen Begründung über ein mit dem 15. Juni beginnendes zweiwöchiges Verbot der Pride-Parade und damit einhergehender Veranstaltungen informiert.

Die seit 2013 stattfindende Pride-Parade in İzmir ist für Samstag, den 22. Juni anberaumt. Die dritte Pride Week in Antalya war für den Zeitraum vom 14. bis 16. Juni geplant; die für Sonntag, den 16. Juni vorgesehene Pride Parade konnte aufgrund des Verbots nicht stattfinden.

Hypothetische Risiken für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung sind keine legitimen Gründe für das Verbot einer friedlichen Versammlung. Die Grundsätze der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit erfordern die Berücksichtigung aller relevanten Umstände, der Auswirkungen auf das geschützte legitime Anliegen und der Wahrscheinlichkeit, dass sich das Risiko konkretisiert, bzw. die Frage, ob weniger restriktive Mittel ausreichen würden.

Staaten haben die positive Verpflichtung, die Wahrnehmung des Rechts auf friedliche Versammlung in Gesetz und Praxis zu erleichtern. Auch nach türkischem Recht ist die Ausübung des Rechts auf Versammlungsfreiheit nicht an eine Genehmigung durch die Regierungsbehörden gebunden. Zudem ist dieses Recht durch das Völkerrecht und internationale Standards in Konventionen geschützt, zu deren Vertragsstaaten auch die Türkei gehört. Jede Entscheidung zur Auflösung einer Versammlung sollte nur als letztes Mittel und im Einklang mit den Grundsätzen der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit getroffen werden, d. h. nur dann, wenn es keine anderen Mittel zum Schutz eines legitimen Ziels gibt, das über dem Recht auf friedliche Versammlung steht.

Im Zuge eines unerbittlichen Vorgehens gegen die Zivilgesellschaft in der Türkei wurde die Sichtbarkeit und Organisationsfähigkeit der einst wachsenden und lebendigen LGBTI-Bewegung durch ungerechtfertigte und rechtswidrige Verbote in den letzten Jahren stark eingeschränkt.

Bei den jüngsten Verboten handelt es sich keinesfalls um die ersten dieser Art in der Türkei. Die Provinzverwaltung in Ankara hatte am 18. November 2017 im Rahmen des Ausnahmezustands ein unbegrenztes Pauschalverbot gegen alle LGBTI-Veranstaltungen in Ankara ausgesprochen. Dieses Verbot wurde erst am 21. Februar 2019 durch eine gerichtliche Entscheidung aufgehoben, nachdem die in Ankara ansässige LGBTI-Organisation KAOS GL ein Rechtsmittel eingelegt hatte. Eine von Studierenden der Middle East Technical University (METU) in Ankara organisierte Pride-Parade am 10. Mai 2019 wurde von der Polizei gewaltsam aufgelöst.

Den seit 2003 jährlich stattfindenden Pride-Veranstaltungen in Istanbul droht im fünften Jahr in Folge ein Verbot. Die Istanbul Pride Parade gilt historisch als die größte Veranstaltung von LGBTI-Aktivist_innen und Unterstützer_innen in der Türkei. Sie zieht im Allgemeinen Zehntausende Teilnehmer_innen an und wurde einst von den türkischen Behörden als Beispiel ihres Respekts für die Menschenrechte herangezogen. Das letzte Mal, dass die Istanbul Pride ohne Einschränkungen stattfinden konnte, war 2014. Damals nahmen mehr als 90.000 Personen an einer fröhlichen, inklusiven und friedlichen Parade teil. Das wiederholte Verbot der Pride-Parade in den letzten Jahren ist ein weiteres Beispiel für das harte Vorgehen der Behörden gegen abweichende Meinungen, die Verschlechterung der Menschenrechtssituation in der Türkei im Allgemeinen und das Versäumnis der Behörden, die Rechte von LGBTI-Personen zu schützen.

Pride-Paraden, die seit 2015 in Mersin veranstaltet werden, wurden Berichten zufolge in den letzten Jahren ebenfalls verboten, und die Organisator_innen mussten ihre Versammlungen auf das Verlesen von Presseerklärungen beschränken. Die fünfte Pride Week in Mersin, bei der auch eine Pride-Parade stattfinden soll, ist für Anfang Juli geplant.

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