AMNESTY INTERNATIONAL
PRESSEMITTEILUNG
Im Vorfeld der Pride-Saison zeigen neue Recherchen von Amnesty International, wie die türkischen Behörden im Jahr 2023 pauschale Verbote und andere diskriminierende Einschränkungen für Pride-Demonstrationen verhängten und dabei unnötige und willkürliche Gewalt anwandten, die in einigen Fällen der Folter gleichkam. Die Anti-LGBTI-Rhetorik hochrangiger Regierungsvertreter verstärkte Vorurteile und ermutigte Anti-LGBTI-Gruppen.
"Da wir uns dem Pride-Monat nähern, dürfen sich die drakonischen Einschränkungen, die unverhältnismäßige Gewalt und die hasserfüllte offizielle Rhetorik, die wir letztes Jahr erlebt haben, nicht wiederholen", sagte Dinushika Dissanayake, stellvertretende Regionaldirektorin von Amnesty International für Europa.
"Stattdessen sollten die Behörden sicherstellen, dass die LGBTI-Pride-Demonstrationen in der Türkei sicher und ohne die Einmischung und Einschüchterung der vergangenen Jahre stattfinden."
Der Bericht "Diskriminierende Einschränkungen und Missbrauch während der Türkei Prides" analysiert die staatlichen Reaktionen auf friedliche Versammlungen während der Pride-Saison 2023 (7. Juni bis 9. Juli).
Die Behörden verhängten pauschale Verbote für viele Demonstrationen und öffentliche Veranstaltungen, und selbst ohne offizielle Verbote hinderten die Strafverfolgungsbehörden LGBTI-Personen daran, sich friedlich zu versammeln.
Gegen friedliche Demonstrierende wurde in großem Umfang unnötige und willkürliche Gewalt angewendet, was dazu führte, dass landesweit mindestens 224 Menschen willkürlich festgenommen wurden. Unter den Festgenommenen befanden sich Anwält*innen, Journalist*innen sowie Personen, die nicht an den Pride-Veranstaltungen teilnahmen. In einigen Fällen kam die rechtswidrige Gewalt der Vollzugsbeamten - unter anderem durch Schläge und Tritte gegen Demonstrant*innen - Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung gleich. Die pauschalen Verbote, Einschränkungen und die Gewalt hatten eine stark abschreckende Wirkung und hielten LGBTI-Personen davon ab, an weiteren friedlichen Protesten teilzunehmen.
Politiker*innen und hochrangige Regierungsbeamte haben eine zunehmend diskriminierende und stigmatisierende Rhetorik gegenüber LGBTI-Personen an den Tag gelegt. Dies eskalierte im Vorfeld der Wahlen im letzten Jahr, als Präsident Erdoğan selbst in einer Fernsehsendung sagte, dass "LGBTI ein Gift ist, das in die Institution der Familie injiziert wurde". Im Jahr 2023 schlug die Regierung eine Änderung der türkischen Verfassung vor, um "Familie" als "die Verbindung eines Mannes mit einer Frau" neu zu definieren.
"Trotz der Einschränkungen und der Gewalt bereiten sich LGBTI-Personen und ihre Verbündeten in der ganzen Türkei darauf vor, den Pride zu feiern und friedlich gegen Diskriminierung zu demonstrieren", sagte Dinushika Dissanayake.
"Systematische Verbote von Pride-Demonstrationen dürfen in diesem Jahr nicht verhängt werden, und es müssen dringend Maßnahmen ergriffen werden, um institutionelle Homofeindlichkeit und Transfeindlichkeit zu bekämpfen und den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Schutz vor Diskriminierung von LGBTI-Personen zu gewährleisten."
Hintergrund
Amnesty International hat eine Kampagne gestartet, in der Innenminister Ali Yerlikaya aufgefordert wird, dafür zu sorgen, dass die Behörden Pride-Demonstrationen und andere Veranstaltungen im Einklang mit ihren internationalen Menschenrechtsverpflichtungen und den Garantien der türkischen Verfassung ermöglichen.
Die Staaten sind gesetzlich und in der Praxis verpflichtet, friedliche Versammlungen zu ermöglichen. Nach türkischem Recht ist die Ausübung des Rechts auf friedliche Versammlungsfreiheit nicht von der Genehmigung durch staatliche Behörden abhängig.
Jede Entscheidung, eine Versammlung aufzulösen, sollte nur als letztes Mittel und unter sorgfältiger Beachtung der Grundsätze der Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit getroffen werden - das heißt nur dann, wenn keine anderen Mittel zur Verfügung stehen, um ein legitimes Ziel zu schützen, das das Recht der Menschen, sich friedlich zu versammeln, überwiegt.
In einer solchen Situation müssen die Strafverfolgungsbehörden die Anwendung von Gewalt so weit wie möglich vermeiden und sie in jedem Fall auf das erforderliche Mindestmaß beschränken.
Unterzeichne jetzt die Online-Petition!