Graffiti in Buenos Aires 2005 © "Buenos Aires 2005 - god save the queer" by thraxil is licensed under CC BY-SA 2.0. To view a copy of this license, visit https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/?ref=openverse.
Graffiti in Buenos Aires 2005 © "Buenos Aires 2005 - god save the queer" by thraxil is licensed under CC BY-SA 2.0. To view a copy of this license, visit https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/?ref=openverse.

Aktionen | Argentinien : Argentinien: Urgent Action: Wegen Graffiti kriminalisiert

Pierina Nochetti, eine lesbische Menschenrechtsaktivistin, ist wegen "schwerer Sachbeschädigung" angeklagt, weil sie aus Protest gegen das Verschwindenlassen eines jungen trans Mannes in der argentinischen Stadt Necochea ein Graffiti gesprüht hat. Ihre Gerichtsverhandlung ist auf den 6. März angesetzt, und ihr droht eine Haftstrafe von bis zu 4 Jahren. Die gegen sie erhobene Anklage scheint eine unnötige und unverhältnismäßige Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung zu sein. Amnesty International fordert die Behörden auf, sie fallenzulassen.

UA-Nummer: UA-003/2024

AI Index: AMR 13/7621/2024

Sachlage

Pierina Nochetti wurde wegen "schwerer Sachbeschädigung öffentlichen Eigentums" angeklagt, weil sie ein Graffiti mit der Frage "Wo ist Tehuel?" an eine öffentliche Wand gesprüht haben soll. Mit dieser Frage fordern Aktivist*innen im ganzen Land Gerechtigkeit. Sie steht im Zusammenhang mit einem 21-jährigen trans Mann, der im Jahr 2021 auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch "verschwand". 

Pierina Nochetti ist Künstlerin, Erzieherin, Mutter von drei Kindern und die Hauptversorgerin der Familie. Sie ist auch Angestellte der Kommunalverwaltung, wo sie wegen ihres Engagements während der Pride Parade 2022 bereits mit administrativen Repressalien, einschließlich Gehaltskürzungen, belegt wurde. Anscheinend wurde bisher niemand wegen der anderen Graffitis an der besprühten Wand angeklagt – auch nicht wegen der dort angebrachten Hassbotschaften. Dies lässt befürchten, dass Pierina Nochetti wegen ihres Engagements für die Rechte von LGBTI+ sowie wegen ihrer Geschlechtsidentität und ihrer sexuellen Orientierung angeklagt wird. Pierina ist aufgrund ihrer Identität stärker von Diskriminierung bedroht.

Die internationalen Menschenrechtsnormen verlangen, dass Einschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung eindeutig gesetzlich verankert und für ein legitimes Ziel notwendig und verhältnismäßig sein müssen. Die Kriminalisierung einer LGBTI-Aktivistin allein wegen des angeblichen Sprühens eines Graffiti an eine öffentlichen Wand scheint eine unnötige und unverhältnismäßige Sanktion zu sein, die andere davon abhalten könnte, ihre Meinungen und Ideen frei zu äußern.

Hintergrundinformation

Pierina Nochetti ist Mutter von drei Kindern und die Hauptversorgerin der Familie. Sie bezeichnet sich selbst als offene Lesbe und LGBTI-Aktivistin. Seit langem gehört sie der Gruppe an, die die Pride Parade in Necochea, einer Küstenstadt in der Provinz Buenos Aires, organisiert. Sie setzt sich seit Jahren für die Menschenrechte ein und für eine Welt, in der alle Personen ihre Menschenrechte frei und gleichberechtigt genießen können. 

Pierina Nochetti hat im Zusammenhang mit dem unaufgeklärten Verschwindenlassens des jungen trans Mannes Tehuel de la Torre die Forderung nach Gerechtigkeit unterstützt. Tehuels Familie führt diese Kampagne seit seinem Verschwinden gemeinsam mit transfeministischen und LGBTI-Bewegungen sowie Menschenrechtsorganisationen. Tehuel de la Torre wurde zuletzt am 11. März 2021 gesehen, als er auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch war.

Die Kommunalverwaltung, bei der sie arbeitet, kürzte Pierina Nochetti bereits zehn Tage lang das Gehalt – offenbar, weil sie die Pride Parade mit organisiert. Jetzt hat die Kommunalverwaltung Strafanzeige wegen eines Graffiti erstattet, das sie gesprüht haben soll, und fordert die Einleitung rechtlicher Schritte gegen sie. Graffitis gelten normalerweise als Ordnungswidrigkeit. Vor Beginn ihrer strafrechtlichen Verfolgung hatte sich Pierina Nochetti bei ihren Vorgesetzten beschwert: sie werde an ihrem Arbeitsplatz ungleich behandelt, möglicherweise aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität.

Argentinien ist Vertragsstaat verschiedener internationaler Abkommen, die das Recht auf freie Meinungsäußerung schützen, wie z. B. dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und der Amerikanischen Menschenrechtskonvention. Die internationalen Menschenrechtsnormen verlangen, dass Einschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung eindeutig gesetzlich verankert und für ein legitimes Ziel notwendig und verhältnismäßig sein müssen. Der UN-Menschenrechtsausschuss hat ausgeführt, dass Strafen für Sachbeschädigungen im Zusammenhang mit Protesten eng bemessen werden müssen, und festgelegt, dass Schäden "schwerwiegend" sein müssen, um strafrechtlich verfolgt zu werden, da sie andernfalls eine unangemessene Einschränkung der Meinungsfreiheit darstellen würden. 

In den letzten Jahrzehnten gab es in Argentinien viele Fortschritte beim Schutz der Rechte von LGBTI-Personen, darunter die Gleichstellung hinsichtlich der Ehe, das Recht auf Geschlechtsidentität, das Recht auf eine Beschäftigungsquote für trans Personen im öffentlichen Dienst, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch und das Recht auf umfassende Sexualerziehung. LGBTI-Personen, vor allem trans und nicht-binäre Menschen, werden jedoch beim Zugang zu ihren Rechten in den Bereichen Gesundheit, Beschäftigung, Bildung sowie dem Recht auf ein Leben frei von Gewalt aufgrund ihrer Geschlechtsidentität oder sexuellen Orientierung stark diskriminiert. Im Jahr 2022 registrierte die Nationale Beobachtungsstelle für LGBT-Hassverbrechen in Argentinien 129 Hassverbrechen gegen Menschen aufgrund ihrer Identität, ihres Ausdrucks der Geschlechtlichkeit oder ihrer sexuellen Orientierung: 84 % dieser Angriffe richteten sich gegen trans Frauen. 40 dieser 129 Straftaten waren tätliche Angriffe. Diese Gewalt und Ausgrenzung ist noch weiterverbreitet, wenn sie intersektional betrachtet wird und LGBT-Aktivist*innen und -Verteidiger*innen einschließt.