Stein des Anstoßes ist unverändert der § 209 des österreichischen Strafgesetzbuches (StGB), der wie folgt lautet: “Eine Person männlichen Geschlechts, die nach Vollendung des neunzehnten Lebensjahres mit einer Person, die das vierzehnte, aber noch nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, gleichgeschlechtliche Unzucht treibt, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen”.
Während das sogenannte “gesetzliche Schutzalter” für lesbische oder heterosexuelle Beziehungen 14 Jahre beträgt, hält der österreichische Strafgesetzgeber am höheren Schutzalter, nämlich 18 Jahre, für schwule Paare fest.
Somit stellt beispielsweise eine Beziehung zwischen einem 19jährigen und einem 17jährigen für den volljährigen Partner ein strafrechtlich zu verfolgendes Delikt dar, das mit bis zu fünfjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist.
Die Tatsache, dass diese Bestimmung keineswegs “totes Recht” darstellt, also in der Praxis üblicherweise sehr wohl rechtliche Konsequenzen aufgrund dieses Paragraphen drohen, beweisen jährlich rund 20 Verurteilungen in Anwendung des § 209 StGB. Dies geschieht allerdings in mehrfach rechtswidriger Weise. Wie u.a. die Europäische Menschenrechtskommission in einer Entscheidung vom 1. Juli 1997 bereits festgestellt hat, steht die Regelung des § 209 StGB sowohl in Widerspruch zu geltendem österreichischen Verfassungsrecht, als auch zu völkerrechtlichen Verpflichtungen Österreichs. Die Kommission führte in dieser Entscheidung aus, dass der § 209 in ungerechtfertigter Weise in die Garantien des Artikel 8 (Achtung des Privatlebens) in Verbindung mit Artikel 14 Diskriminierungsverbot) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), die in Österreich in Verfassungsrang steht, eingreift, weil diese Bestimmung ohne sachliche Rechtfertigung Personen aufgrund ihres Geschlechts bzw. ihrer sexuellen Orientierung in der Ausübung ihres Rechts auf Achtung des Privatlebens benachteiligt.
Dieselben für Österreich verbindlichen Garantien enthält auch der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, den Österreich als Vertragspartei unterzeichnet und ratifiziert hat. Das UNO-Menschenrechtskomitee deklarierte in einer im vergangenen Jahr getätigten Stellungnahme diese Bestimmung ebenfalls als gleichheitswidrige Diskriminierung von Personen aufgrund ihres Geschlechts bzw. ihrer sexuellen Orientierung. Während der letzten drei Jahre befasste sich der österreichische Gesetzgeber bei zwei Gelegenheiten mit der Aufhebung bzw. Abänderung dieses Paragraphen, doch scheiterten beide Versuche am Widerstand der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) sowie der Freiheitlichen Partei Österreich (FPÖ), die eine Mehrheitsbildung im Parlament verhinderten.
Aufruf zu Protestbriefen: Da zur Zeit weder öffentliche Diskussion und Protest noch die Thematisierung dieses antihomosexuellen Straftatbestandes auf parteipolitischer Ebene in Österreich existieren, möchte nun amnesty international eine möglichst breite Briefaktion an die politisch verantwortlichen Personen in Österreich starten. Darin sollte die Verpflichtung Österreichs zur unverzüglichen Aufhebung des gröblich diskriminierenden § 209 StGB betont und dementsprechende Bereitschaft und Initiative der österreichischen Regierung und der politischen Parteien eingefordert werden.
Die Adressaten dieser Schreiben sollten jedenfalls der österreichische Justizminister sowie die Parteichefs der ÖVP und der FPÖ sein, die die für eine Gesetzesänderung nötige Mehrheitsbildung im Parlament blockierten.