"Viele der Transfrauen im Land sind in der Sexarbeit und im Betteln tätig. Kein normales Unternehmen stellt uns ein. Wir werden als verflucht und tabu angesehen." Eine Transfrau in Bangladesch, April 2021, © Amnesty International
"Viele der Transfrauen im Land sind in der Sexarbeit und im Betteln tätig. Kein normales Unternehmen stellt uns ein. Wir werden als verflucht und tabu angesehen." Eine Transfrau in Bangladesch, April 2021, © Amnesty International

Meldungen | Asien | Bangladesch | Japan | Singapur | Pakistan | China | Indien | Philippinen | Sri Lanka | Südkorea | Tonga Asien: „PANDEMIE ODER NICHT, WIR HABEN DAS RECHT ZU LEBEN“

Die Covid-19-Pandemie verursachte weit reichende und häufig schwerwiegende Beeinträchtigungen des gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens von Millionen von Menschen auf der ganzen Welt. Diese Auswirkungen waren jedoch nicht gleichmäßig verteilt. Trans-Personen - die bereits tief verwurzelten und anhaltenden strukturellen Ungleichheiten ausgesetzt waren - sahen ihre bereits bestehende Marginalisierung durch die Pandemie und die damit verbundenen Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit noch verschärft und litten unverhältnismäßig stark.

„Wir werden nicht erst seit Covid unterdrückt, sondern schon seit sehr langer Zeit. Unser Leiden ist jetzt sichtbar geworden und hat allen gezeigt, wie verletzlich das System ist“.

Eine Trans-Frau in Bangladesch in einem Interview mit Amnesty International, April 2021

Die Auswirkungen der Pandemie und die Reaktionen der Regierungen darauf haben die vielfältigen Risiken und tief verwurzelten Systeme der Diskriminierung, Gewalt und Marginalisierung aufgezeigt, mit denen sich Trans-Personen in ihrem Alltag konfrontiert sehen. Der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Beschäftigung, Bildung, Wohnraum, lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen wird ständig behindert, und soziale Unterstützung wird vor dem Hintergrund der fehlenden rechtlichen Anerkennung des Geschlechts, der Stigmatisierung, Diskriminierung, Gewalt und Kriminalisierung erfahren. Diese Strukturen untermauerten die erhöhte Prekarität, die Trans-Menschen während der Pandemie erlebten, führten zu erheblichen Unterschieden beim Zugang zu Covid-19-Gesundheitsdiensten und Hilfsmaßnahmen und verschärften die psychologischen Auswirkungen.

In vielen Ländern Asiens und der pazifischen Inseln hatten Trans-Menschen keinen Zugang zu den Hilfsmaßnahmen die von den Regierungen während der Pandemie zur Verfügung gestellt wurden. In einer 2022 durchgeführten länderübergreifenden Bewertung der Frage, inwieweit die Hilfsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Pandemie den Bedürfnissen von Randgruppen entsprachen, wird als zentrales Ergebnis hervorgehoben, dass das Ausmaß, in dem die Sozialschutzsysteme in der Lage waren, marginalisierte Gruppen während der Pandemie einzubeziehen, stark damit zusammenhing, inwieweit sie vor der Pandemie integrativ waren.3

Die Pandemie verschärfte auch die systemischen Ungleichheiten und die strukturelle Diskriminierung von Trans-Personen mit sich überschneidenden Identitäten - zum Beispiel Trans-Sexarbeiter*innen, PoC Trans-Frauen, Menschen mit Behinderungen, Trans-Geflüchtete und -Migrant*innen sowie Menschen, die in Armut leben.4

Neben dem globalen Gesundheitsnotstand Covid-19 erlebten Trans-Menschen auf der ganzen Welt im Jahr 2021 auch das „tödlichste Jahr in der Geschichte für Trans und genderdiverse Menschen“.5 Die anhaltende Gewalt durch staatliche und nichtstaatliche Akteure6 und die breite Anwendung von Strafgesetzen zur Verhaftung, Einschüchterung und Belästigung von Trans-Personen wurde von Amnesty International und anderen in zahlreichen Ländern weltweit als ein Hauptmerkmal der seit langem bestehenden Marginalisierung und Diskriminierung von Trans-Menschen dokumentiert.7 Der 2022 erschienene „Trans Mord-Monitoring“-Bericht zeigt, dass zwischen dem 1. Oktober 2021 und dem 30. September 2022 327 transgender und genderdiverse Menschen, darunter 40 Menschen in Asien, ermordet wurden.8 Im Vorjahr waren es weltweit 375 Tote, davon 44 in Asien.9 Die tatsächlichen Zahlen - sowohl regional als auch weltweit - sind wahrscheinlich viel höher, da die Fälle oft nicht gemeldet, nicht ausreichend untersucht oder auf nationaler Ebene nicht korrekt erfasst werden.10

Die Recherchen für diesen Bericht umfassen eine Literaturrecherche, die Berichte von UN-Organisationen, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und LGBTI-Organisationen beinhaltet hat. Zwischen März 2020 und August 2022 haben Researcher von Amnesty International außerdem 35 Trans-Personen in Bangladesch, Indien, Japan, Festlandchina, Pakistan, den Philippinen, Singapur, Südkorea, Sri Lanka, Taiwan und Tonga aus der Ferne befragt. Zudem wurde im August 2022 eine Umfrage unter Trans-Personen in Südostasien durchgeführt.

Amnesty International erkennt an, dass es in den Ländern der Region erhebliche kontextuelle Unterschiede gibt, was Rechtssysteme, soziale, kulturelle und religiöse Normen, das Ausmaß der Stigmatisierung von Trans-Personen, den Zugang von Trans-Personen zu Dienstleistungen, Rechtsmitteln und Entschädigung sowie ihre Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen betrifft. In diesem Bericht sollen die wichtigsten Unterschiede und Gemeinsamkeiten anhand von Beispielen für die Erfahrungen von Trans-Personen in verschiedenen Ländern der Region verdeutlicht werden.

Sie sagten, das Virus sei der große Gleichmacher, aber in Wirklichkeit hat es - ebenso wie die Maßnahmen gegen das Virus - die bestehenden Ungleichheiten erheblich verschärft. Die Systeme, die für Trans-Menschen ohnehin oft unzugänglich waren, sind nun fast unmöglich zu erreichen.“

Ein Trans-Mann auf den Philippinen in einem Interview mit Amnesty International, März 2021

Wie bei vielen marginalisierten Gruppen weltweit zeigt dieser Bericht übereinstimmende Trends für Trans-Personen auf den asiatischen und pazifischen Inseln in Bezug auf Einkommensverluste, unsichere Ernährung, schlechteren Zugang zu allgemeiner Gesundheitsversorgung und geschlechtsangleichender Behandlung, unsichere Wohnverhältnisse und häusliche Gewalt auf, insbesondere in Zeiten von Lockdowns. Die Auswirkungen für Trans-Personen, die einem hohen Maß an Stigmatisierung, Gewalt im öffentlichen und privaten Bereich, Ausschluss von Gesundheitsdiensten und sozialer Isolation ausgesetzt sind, waren weitreichend und schwerwiegend.

Der Bericht dokumentiert zum Beispiel, dass Trans-Personen in der Region überwiegend im informellen Sektor arbeiten, und daher oft von der Arbeitsplatzsicherheit, dem Arbeitsschutz und den Sozialleistungen des formellen Sektors ausgeschlossen sind.11 Während der Pandemie waren Trans-Menschen aufgrund ihres prekären Beschäftigungsstatus und ihrer Abhängigkeit von Berufen, die persönlichen Kontakt erfordern, unverhältnismäßig stark von den Bewegungseinschränkungen betroffen, die von den Regierungen zur Eindämmung der Ausbreitung der Infektion verhängt wurden.

In vielen Ländern waren offizielle Ausweispapiere erforderlich, um Zugang zu Hilfsmaßnahmen, Covid-19-Impfstoffen oder sogar zu öffentlichen Einrichtungen zu erhalten, um während der Lockdowns lebenswichtige Güter zu kaufen. Da Trans-Personen oft nicht in der Lage waren, einen Ausweis vorzulegen oder keinen, der ihren Geschlechtsausdruck widerspiegelt, wurden sie größtenteils von den Maßnahmen zur Milderung der Auswirkungen des Einkommensverlustes ausgeschlossen und waren bei ihren Versuchen, Zugang zu erhalten, Schikanen und Missbrauch ausgesetzt. Da Trans-Menschen aufgrund von Diskriminierung und Stigmatisierung bereits seit langem von Armut betroffen sind, führte dies dazu, dass sie noch weiter in die Armut getrieben wurden, oft ihre Wohnung und den Zugang zu wichtigen Dienstleistungen verloren.

Die bereits bestehenden Probleme beim Zugang zu allgemeiner und geschlechtergerechter Gesundheitsversorgung in den meisten Ländern Asiens und des Pazifiks wurden während der Pandemie noch verschärft, da die Regierungen ihre Prioritäten im Gesundheitswesen zugunsten von Covid-19 bezogenen Behandlungen setzten. Die Untersuchungen von Amnesty International ergaben, dass frühere und aktuelle Erfahrungen mit diskriminierender Behandlung dazu führten, dass viele Trans-Personen nicht bereit waren, Gesundheitsdienste in Anspruch zu nehmen.

Trans-Personen berichteten Amnesty International auch, dass sich der chronische Stress und die schlechte psychische Gesundheit, die durch die Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt, denen sie tagtäglich ausgesetzt sind, während der Pandemie verschlimmert haben.12 Viele sprachen von Angstzuständen, Depressionen und auch von zeitweiliger Drogenabhängigkeit und Selbstmordgedanken.13 Der Verlust ihrer Lebensgrundlagen, und des Zugangs zu Unterstützungsnetzwerken sowie die Zunahme der Gewalt, die einige Trans-Personen erlebten, zwangen viele von ihnen, während der Lockdowns in ein feindseliges oder wenig unterstützendes familiäres Umfeld zurückzukehren - wo sie wo sie oft weiteren Schikanen und Gewalt ausgesetzt waren.

„Der Grund, warum Transmenschen keinen Zugang zu vielen Diensten haben, einschließlich der Unterstützung während der Pandemie, ist, dass sie dem Gesetz nicht sichtbar sind. Ob während der Pandemie oder nicht, das Einzige, was ich von der Regierung fordere, ist, uns das absolute Minimum zu gewähren. Behandeln Sie uns als Gleichberechtigte. Wir haben nicht einmal das absolute Minimum dessen, was unsere gleichgeschlechtlichen Pendants haben.“

Ein Trans-Mann in Singapur in einem Interview mit Amnesty International, Juni 2021

Die nachstehenden Empfehlungen spiegeln die Notwendigkeit wider, dass die Regierungen im Rahmen des „building back better“ Anstrengungen unternehmen, um die strukturellen Bedingungen und Ungleichheiten anzugehen, die den Alltag, die Entscheidungsfreiheit und die Chancen von Trans-Personen prägen und die sie, wenn sie unverändert bleiben, auch in Zukunft besonders anfällig für Krisen machen werden. Dazu sollte es gehören, evidenzbasierte, zugängliche und Trans-Menschen einbeziehende Sozialschutzsysteme zu schaffen, öffentliche Gesundheits-, Bildungs-, Beschäftigungs- und Wohnungssysteme zu fördern und dafür zu sorgen, dass Trans-Menschen und ihre Organisationen in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden.

Die Aufmerksamkeit der Regierungen für die besonderen Bedürfnisse und Realitäten von Trans-, geschlechtsspezifischen und LGBTI-Personen in Krisensituationen muss sich ebenfalls dringend ändern. Die Regierungen sollten die aus der Pandemie gezogenen Lehren prüfen und Lösungen umsetzen. In Vorbereitung auf künftige Umwelt-, Gesundheits- oder sonstige Krisensituationen sollten die Regierungen bessere, Trans-Menschen einbeziehende Schutzmaßnahmen, Bedarfsermittlungsverfahren und Partnerschaften einrichten.

DIE WICHTIGSTEN EMPFEHLUNGEN VON AMNESTY INTERNATIONAL AN DIE REGIERUNGEN IN DER REGION

  • Stellen Sie sicher, dass Trans-Personen die rechtliche Anerkennung ihres Geschlechts durch zugängliche und transparente, auf Selbstbestimmung basierende Verfahren erhalten können, wobei ihr Recht auf Privatsphäre gewahrt bleibt. Die Regierungen sollten sicherstellen, dass alle Dokumente mit korrekten Geschlechtskennzeichnungen ausgestellt werden und geschlechtsbezogene Informationen in staatlichen Registern aktualisiert werden.

  • Trans-Personen sollten zusammen mit allen anderen Selbstständigen und informell Beschäftigten ohne Diskriminierung in die Arbeitslosenhilfe und andere Finanz- und Sozialversicherungsprogramme einbezogen werden.

  • Sicherstellung des Zugangs zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung für alle Menschen, einschließlich der spezifischen Therapien die Trans-Menschen betreffen, einschließlich Hormontherapie, geschlechtsangleichende Operationen und kostenlose psychologische Beratung.

  • Bereitstellung von erschwinglichem und sicherem Wohnraum und angemessenen Notunterkünften für diejenigen, die sie benötigen, einschließlich für Trans-Sexarbeiter*innen.

  • Sicherstellen, dass Präventions- und Reaktionsmaßnahmen gegen genderspezifische und häusliche Gewalt integraler Bestandteil der staatlichen Krisenreaktionen sind und dass diese die spezifischen Bedürfnisse von Menschen unterschiedlicher Geschlechter und Sexualität berücksichtigen. Dies bedeutet, dass die politischen Maßnahmen von einem Verständnis dafür geprägt sind, inwiefern Trans und genderdiverse Menschen einem erhöhten Risiko für verschiedene Formen geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt sind und wie diese Risiken je nach Umfeld variieren können.

  • Sicherstellen, dass Trans- und genderdiverse Überlebende Zugang zu Polizeischutz, Gesundheitsversorgung und Justizdiensten, Unterkünften, Beratungsstellen und gemeindebasierter Unterstützung haben, unter anderem durch die Einstufung dieser Dienste als lebensnotwenig und sicherstellen, dass sie die notwendige Unterstützung und Ressourcen auch in künftigen Notsituationen erhalten.

  • Sicherstellen, dass die Maßnahmen zur Krisenbewältigung auf der Grundlage von Daten und faktengestützten Bedarfsanalysen erfolgen, die die Realitäten von Trans- und genderdiversen Menschen je nach ihrem lokalen Kontext berücksichtigen.

  • Sicherstellen, dass Regierungen robuste und sinnvolle Partnerschaften mit Trans-Organisationen und -Aktivist*innen bilden, um ihre Antworten auf künftige Krisen zu unterstützen - unter anderem durch die Identifizierung von Bedürfnissen, die Gestaltung und Umsetzung sicherer, würdiger und effektiver Registrierungsansätze und die Entwicklung von Schutz- und zugänglichen und vertraulichen Beschwerdemechanismen.

Literaturangaben:

3 Roelen, K. and Carter, B., ‘Social Assistance and Covid-19: Reaching the Furthest Behind First?’, 2020, Institute of Development Studies (IDS), Brighton, www.ids.ac.uk/publications/social-assistance-and-covid-19-reaching-the-furthest-behind-first/.
4 Burgess, C. M. et al., “Impact of the COVID-19 pandemic on transgender and gender diverse health care”, September 2021, The Lancet Diabetes & Endocrinology, Volume 9, Issue 11, www.thelancet.com/journals/landia/article/PIIS2213-8587(21)00266-7/fulltext#bib3, pp.729-
731. (Data related to the USA).
5 Transrespect versus Transphobia Worldwide (TVT), Trans Day of Remembrance 2021, 11 November 2021, transrespect.org/en/tmm-update-tdor-2021/
6 For instance, see Perez-Brumer, A. and Silva-Santisteban, A., “COVID-19 Policies can Perpetuate Violence Against Transgender Communities: Insights from Peru”, 2020, AIDS and Behavior, Volume 24, pp. 2477-2479, link.springer.com/article/10.1007/s10461-020-02889-z#citeas; Radusky, P. D. et al., “Mental Health, substance use, experiences of violence, and access to health care among transgender and non-binary people during the COVID-19 lockdown in Argentina”, July 2021, International Journal of Transgender Health, pp. 1-14, www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/26895269.2021.1943593.
7 See, for example, Amnesty International, LGBTI Rights, www.amnesty.org/en/what-we-do/discrimination/lgbti-rights/
8 Transrespect versus Transphobia Worldwide (TVT), Trans Day of Remembrance 2022, 8 November 2022, transrespect.org/en/tmm-update-tdor-2022/

9 Transrespect versus Transphobia Worldwide (TVT), Trans Day of Remembrance 2021, 11 November 2021, (previously cited).

10 For example, in Samoa the death of fa’afafine Jeanine Tuivaki in June 2016 was reported by the coroner as a suicide and a photo of her body was published in the local newspaper. Family members maintained that she had injuries at the time of her death consistent with being beaten (see: Samoa Observer, "Coroner rules in ‘Jeanine’s’ Inquest", 15 September 2016, www.samoaobserver.ws/category/samoa/16030.

11 OHCHR, “COVID-19: The suffering and resilience of LGBT persons must be visible and inform the actions of States”, 14 May 2020, www.ohchr.org/en/statements/2020/05/covid-19-suffering-and-resilience-lgbt-persons-must-be-visible-and-inform

12 Amnesty International’s interviews with transgender people in Sri Lanka, Pakistan, India, Bangladesh, and the Philippines between March 2021 and August 2022

13 Ibid.