Artwork der koreanischen Künstlerin © JaSeon @bnnbno
Artwork der koreanischen Künstlerin © JaSeon @bnnbno

Meldungen | Pakistan | Dominikanische Republik Ein Gespräch zwischen zwei Aktivist_innen am Internationalen Transgender Tag der Sichtbarkeit

Anlässlich des Internationalen Transgender Tages der Sichtbarkeit bat Amnesty International zwei Aktivist_innen aus der Dominikanischen Republik und Pakistan, Geschichten über die Kämpfe zu erzählen, mit denen sie konfrontiert waren.

Amnesty International

"Ich träume von einer queeren Zukunft."

Nairovi Castillo ist Geschäftsführer_in der Gemeinschaft der Dominikanischen Trans- und Transvestiten Sexarbeiter_innen (COTRAVETD), einer Organisation, die sie 2004 mitgegründet hat.

Mehlab Jameel (26) ist Forscher_in und Community-Pädagog_in. Mehlab hat mitgeholfen, 2018 die Gesetzesvorlage, ein Meilenstein, bezüglich Trans-Menschen in Pakistan zu formulieren - eines der fortschrittlichsten Gesetze seiner Art in der Welt.

Die Diskussion zwischen ihnen ist ein Zeichen dafür, wie Solidarität in schwierigen Situationen immensen Trost und Kraft bringen kann.

Amnesty International: Erzählen Sie uns von Ihrer Vergangenheit.

Nairovi: Ich hatte eine schreckliche Kindheit. Mir wurde klar, dass ich eine Frau war, als ich noch jung war, aber meine Familie akzeptierte es nie. Als ich 13 war, warfen sie mich wegen meiner sexuellen Orientierung hinaus. Ich begann auf den Straßen von Santo Domingo zu schlafen und nahm psychoaktive Substanzen. Der Übergangsprozess zur Transfrau war für mich sehr schwer.

Mehlab: Ich wurde in einer kleinen Stadt in der Provinz Punjab geboren und verbrachte den größten Teil meines Lebens dort, bis mein Leben unmöglich wurde und ich in eine Metropole zog, um dort eine höhere Ausbildung zu machen. Heute arbeite ich für eine Gemeinschaftsorganisation HOPE (Have Only Positive Expectations), die sich für Genderrechte und sexuelle Minderheiten in Pakistan einsetzt. Ein typischer Tag ist für mich, geschlechtsbinäre Ansätze zu durchkreuzen, das Patriarchat herauszufordern, den Kapitalismus zu stürzen und viel Chai zu trinken. Wissen Sie, die üblichen Dinge - nichts Außergewöhnliches.

Was war bisher Ihre größte Herausforderung?

Nairovi Castillo: Das Schwierigste war die gesellschaftliche Akzeptanz. Die Leute nannten mich "Schwuchtel" , weil ich mich wie eine Frau anzog. Viele Trans-Menschen haben keine andere Wahl, als Sexarbeit anzunehmen, um uns durchzubringen. Im formellen Sektor gibt es für uns keine Stellenangebote. Ich fing an, alleine zu arbeiten, ohne Zuhälter, aber wie wir alle sah ich mich einer großen Gefahr gegenüber. Ich wurde fast jeden Tag von der Polizei angehalten. Sie schlugen mich, nahmen mein Geld und zwangen mich zum Oralsex mit ihnen. Wenn ich meine Kleider ausziehe, entdecke ich alle Narben der Misshandlungen, die ich erlitten habe. Ich kann Ihnen die genaue Zeit und das Datum nennen, an dem ich jede einzelne Narbe bekam.

Mehlab Jameel: Trans-Menschen, vor allem aus dem Teil der Welt, aus dem ich komme, werden immer als unglückselige Opfer gesehen. Die Menschen sind vor allem daran interessiert, wie wir unterdrückt werden, sie interessiert aber nicht, das System herauszufordern, das uns unterdrückt. Es ist nicht so, dass wir dieser Gewalt nicht jeden Tag gegenüberstehen; allerdings können wir niemals zu unseren eigenen Bedingungen darüber sprechen, selbst in den Erzählungen, die uns betreffen.

Erzählen Sie uns von dem Moment, in dem Sie sich entschieden haben, dem Status quo zu trotzen.

Nairovi: Ich war 29 Jahre alt, als ich Aktivist_in wurde. Ich habe gesehen, wie eine Organisation namens "Bewegung der gemeinsam kämpfenden Frauen" hier in der Dominikanischen Republik weibliche Sexarbeiterinnen unterstützt, die unter Gewalt, Verhaftung oder HIV leiden, und ich dachte: "Wir müssen so etwas tun." Zu dieser Zeit gab es keine Organisation, die sich hier um Trans-Menschen kümmerte. Wir haben gesehen, dass wir uns als Gruppe von Sexarbeiter_innen organisieren mussten, weil wir viele Bedürfnisse haben, die bestritten werden. So haben wir 2004 COTRAVETD gegründet.

Mehlab: Ich glaube, ich habe mehrere solcher Momente innerhalb eines Tages. Nur an der Seite von anderen kann man für Veränderungen kämpfen. Unsere organisatorische Arbeit ist nicht auf einen entfremdenden und individualistischen Rechtsrahmen ausgerichtet, sondern auf Gerechtigkeit für die Menschen - für uns. Wie Angela Davis sagt: "In der Gemeinschaft finden wir einen Fundus für Hoffnung und Optimismus."

Was ist Ihre größte Leistung?

Nairovi: COTRAVETD zu leiten. Wir führen Aufklärungsarbeit durch, damit die Mädchen ihre Rechte kennen, und wir veranstalten Workshops, um das Bewusstsein zu schärfen und das Militär und die Polizei darin zu schulen, uns nicht mehr zu misshandeln. Für mich ist der Weg von der Transsexarbeiterin, die Drogen nahm, zur Direktorin dieser Organisation und damit Drogenmissbrauch zu überwinden eine große Errungenschaft.

Mehlab: Mehr als nur Erfolg. Ich finde es immer wieder spannend zu sehen, wo ich versage: Versagen, glücklich in einer patriarchalischen Familie zu leben, Versagen, mein Trans-Dasein und die damit verbundenen politischen Ziele einer rechten Regierung verständlich zu machen. Ich interessiere mich für mein Versagen, in einer Gesellschaft, die mich und meine Existenz ständig entmenschlicht, Trost zu finden. Mein Versagen lehrt mich jeden Tag etwas Neues über die Gewalttätigkeit der Gesellschaft, in der ich versuche zu überleben, und über die Strukturen, die diese Gewalt aufrechterhalten, der ich mich widersetze.

Nairovi: In der Dominikanischen Republik brauchen wir ein Gesetz bezüglich der Geschlechtsidentität, damit wir offizielle Dokumente haben können, die unsere Namen und Geschlechtsidentitäten widerspiegeln. Wir brauchen auch dringend ein Antidiskriminierungsgesetz, um sicherzustellen, dass die Behörden uns schützen. Also, Mehlab, wie haben Sie dieses schöne Ziel erreicht?

Mehlab: Es war eine gemeinsame Anstrengung. Das Transgender-Personen-Gesetz gibt den Menschen unter anderem das Recht auf Selbstbestimmung ihrer Geschlechtsidentität und die Art und Weise, wie sie leben wollen, sowie auf Schutz vor Diskriminierung. Unser Team bestand aus Anwält_innen, Aktivist_innen und Forschenden, die unermüdlich daran arbeiteten, sicherzustellen, dass die Gesetzesvorlage vor dem Parlament die Forderungen der Gemeinschaft darstellte, insbesondere diejenigen, die wirtschaftlich gesehen am stärksten an den Rand gedrängt werden und Gewalt ausgesetzt sind. Es war schwierig, Barrieren abzubauen und Zugang zu erhalten, da der Gesetzgebungsprozess in Pakistan, wie Sie sich vorstellen können, eine sehr exklusive und elitäre Angelegenheit ist. Das Gesetz verdankt seinen Sieg den tapferen Trans-Krieger_innen, die ihr ganzes Leben gegen Polizeibrutalität und Bandengewalt gekämpft haben.

Haben Sie eine Botschaft für andere Trans-Menschen auf der ganzen Welt?

Nairovi: Wir müssen weiter kämpfen, um Ausgrenzung, Stigmatisierung und Diskriminierung zu beenden, denn soziale Ausgrenzung führt zu Verletzungen der Menschenrechte. Wir können unsere Stimmen erheben und die Entscheidungsträger_innen beeinflussen und sie zwingen, auf uns zu hören. Wir müssen uns selbst stärken und die Menschen dazu bringen, uns mit unseren gewählten Namen anzusprechen.

Mehlab: Wir tragen die Schande der Gesellschaft überall an unserem Körper, wir werden bestraft, weil wir in unsere schönen Körper hineingeboren wurden und fordern, dass wir unsere eigenen Entscheidungen darüber treffen. Unsere bloße Existenz ist geprägt von Gewalt, Auslöschung und Hass. Es gibt schon genug Schmerzen in unserem Leben, also füge nicht auch du noch ihm Schmerzen zu. Sei freundlich zu dir selbst und denen, die um dich herum sind. Bau eine Kultur der Achtsamkeit auf und organisiere den Wandel in der Gemeinschaft.

Was ist Ihr größter Traum für die Zukunft?

Nairovi: Mein Traum für die Zukunft ist es, in meinem Land ein Gesetz zur Geschlechtsidentität verabschiedet zu bekommen und ein Pflegeheim für ältere transgeschlechtliche Menschen, für diejenigen, die keinen Platz haben, und diejenigen, die mit HIV leben und die von ihren Familien abgelehnt wurden, zu errichten. Ich möchte, dass Trans-Menschen andere Beschäftigungsmöglichkeiten haben, damit sie nicht nur Sexarbeiter_innen sein müssen. Dies ist mein Traum.

Mehlab: Ich träume von einer queeren Zukunft. Es ist wichtig, in unseren Bewegungen eine starke politische Kultur aufzubauen, die die systemischen Wurzeln der Unterdrückung aufzeigt, die die Menschen betreffen - und nicht nur Trans-Menschen. Es bedeutet soviel, von einer Transschwester zu hören, die eine ähnliche Schlacht in einem anderen Teil der Welt führt. Ich würde gerne mehr über den Aufbau einer transnationalen Solidarität sprechen, um mehr von den Kämpfen des anderen lernen zu können. Eine solche radikale Schwesternschaft über die Grenzen hinaus gibt mir Hoffnung für die Zukunft. Ich bin unglaublich inspiriert und berührt von Ihrer Arbeit zu hören. Sie sind brillant und ein Hoffnungsschimmer für Ihre Gemeinschaft, und ich gebe Ihnen alle meine Gebete und die besten Wünsche für Ihre Bemühungen. Mehr Kraft für Sie!