Gay Pride March in Istanbul, Türkei 2011
Gay Pride March in Istanbul, Türkei 2011 © Amnesty International

Aktionen | Türkei : Urgent Action: Aktivist weiter in Haft

Der seit dem 3. Januar inhaftierte Modedesigner und LGBTI-Aktivist Barbaros Şansal wird wegen angeblicher "Anstiftung der Öffentlichkeit zu Hass oder Feindseligkeit" weiterhin in Untersuchungshaft gehalten, obwohl das Gericht die Anklage gegen ihn abgewiesen hat. Er muss umgehend und bedingungslos freigelassen werden.

UA-002/2017-1
Index: ASA 44/5648/2017
08. Februar 2017

Herr BARBAROS ŞANSAL

Der Modedesigner und LGBTI-Aktivist Barbaros Şansal befindet sich seit dem 3. Januar im Silivri-Gefängnis in der Nähe von Istanbul in Untersuchungshaft, obwohl ein Gericht am 6. Februar die Anklage gemäß Paragraf 216 des türkischen Strafgesetzbuchs wegen "Anstiftung der Öffentlichkeit zu Hass oder Feindseligkeit" zurückgewiesen hat. Die Anklage gründete sich auf ein kurzes Video, das er am Neujahrsabend in den sozialen Medien teilte und zwei Tweets, von denen er seiner Aussage zufolge nur einen verfasst hat.

Das Istanbuler Strafgericht erster Instanz Nr. 43 lehnte die Anklage aufgrund mangelnder Beweise für die Vorwürfe ab. Laut dem Rechtsbeistand von Barbaros Şansal befand das Gericht, dass die Anklage nicht erklärte, wie Barbaros Şansal einen der Tweets aus Istanbul hatte versenden können, da er sich nachweisbar in Nordzypern aufgehalten hatte.

Sowohl der Inhalt der Videonachricht als auch des Tweets, den Barbaros Şansal zugibt versendet zu haben, ist nach dem Recht auf Meinungsfreiheit geschützt und sollte nicht zu einer Strafverfolgung führen. Amnesty International fordert seit langem, dass Paragraf 216 des Strafgesetzbuchs durch die Abschaffung der Absätze 2 und 3, welche das Recht auf freie Meinungsäußerung auf unzulässige Weise einschränken, entsprechend völkerrechtlicher Bestimmungen geändert wird.

Der Rechtsbeistand von Barbaros Şansal teilte Amnesty International außerdem mit, dass die Staatsanwaltschaft beim Justizminister die Aufnahme von Ermittlungen nach Paragraf 301 des Strafgesetzbuchs "Verunglimpfung der türkischen Nation" anstrengt. Amnesty International fordert die Abschaffung von Paragraf 301, da er eine direkte und unerlaubte Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung darstellt.

SCHREIBEN SIE BITTE

E-MAILS, FAXE, TWITTERNACHRICHTEN ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Ich fordere Sie höflich auf, Barbaros Şansal umgehend und bedingungslos aus der Untersuchungshaft zu entlassen und alle Anklagen gegen ihn fallen zu lassen.
  • Bitte lehnen Sie die Aufnahme von Ermittlungen gemäß Paragraf 301 ab.
  • Bitte sorgen Sie dafür, dass die Absätze (2) und (3) von Paragraf 216 und der gesamte Paragraf 301 des Strafgesetzbuchs gestrichen werden.

APPELLE AN

JUSTIZMINISTER
Mr. Bekir Bozdağ
Ministry of Justice
Adalet Bakanlığı
06659 Ankara
TÜRKEI
(Anrede: Dear Minister / Sehr geehrter Herr Minister)
Fax: (00 90) 312 419 33 70
E-Mail: ozelkalem@adalet.gov.tr

KOPIEN AN

PARLAMENTARISCHER AUSSCHUSS FÜR MENSCHENRECHTE
Mr Mustafa Yeneroğlu
Commission Chairperson
TBMM İnsan Hakları İnceleme Komisyonu
Bakanlıklar
06543 Ankara
TÜRKEI
Fax: (00 90) 312 420 24 92
E-Mail: insanhaklarikom@tbmm.gov.tr

BOTSCHAFT DER REPUBLIK TÜRKEI
S. E. Herrn Ali Kemal Aydın
Tiergartenstr. 19-21
10785 Berlin
Fax: 030-275 90 915
E-Mail: botschaft.berlin@mfa.gov.tr

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Türkisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 22. März 2017 keine Appelle mehr zu verschicken.

HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Als Barbaros Şansal von der Staatsanwaltschaft befragt wurde, sagte er: "Der Bezug auf die Türkei, die ‚in ihrer Scheiße ertrinken möge' ist eine humorig gemeinte Bemerkung, die ich vor zwei Jahren in einem Interview gemacht habe. Ich habe den Witz von Zeit zu Zeit in meinen Kurzvideos gemacht, die ich in den sozialen Medien teile."

Barbaros Şansal wurde auch zu zwei Tweets befragt. Den ersten veröffentlichte er nach dem bewaffneten Angriff auf den Nachtclub Reina am Silvesterabend, bei dem 39 Menschen getötet und 65 verletzt wurden. Er lautete: "Der Besitzer ist Jude, der Beschwerdeführer ist Sunnit, die Managerin ist Alevitin… der Weihnachtsmann? F… O…". Er habe diesen Tweet geteilt und "was ich damit zu sagen versuche, ist, dass das, was dort geschehen ist, kein Zusammenstoß der Religionen oder verschiedenen Glaubensrichtungen war."

Laut Verhörprotokoll sagte Barbaros Şansal, dass der zweite Tweet, zu dem er befragt wurde, nicht von ihm verschickt worden war. Darin hieß es: "Sunnit_innen in Nikolauskostümen schossen auf Menschen in Istanbul, weil Managerin und Angestellte Alevit_innen waren". Die Zeit und der Ort im Tweet weist darauf hin, dass er aus der Türkei versandt wurde und nicht aus dem Norden Zyperns, wo sich Barbaros Şansal aufhielt.

Seit dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 sind Hunderte Menschen, darunter Journalist_innen, Menschenrechtsverteidiger_innen, Aktivist_innen und andere, durch das drastische Vorgehen der türkischen Regierung gegen die Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit ins Gefängnis gekommen. Lange Untersuchungshaftanordnungen, die sich auf dürftige oder nicht vorhandene Beweise für international als Straftat anerkannte Handlungen stützen, werden dazu weitverbreitet und routinemäßig angewandt. Der am 20. Juli 2016 ausgerufene Ausnahmezustand wurde am 4. Januar 2017 zum zweiten Mal um drei Monate verlängert. Mit den Regierungsdekreten, die unter dem Ausnahmezustand erlassen worden sind, wurde der Zugang der Inhaftierten zu ihren Rechtsbeiständen eingeschränkt und der mögliche Untersuchungshaftzeitraum von vier auf 30 Tage erhöht.

In Paragraf 216 des türkischen Strafgesetzbuchs heißt es:

"(1) Wer öffentlich zu Hass und Feindschaft gegen Teile der Bevölkerung, die unterschiedliche Besonderheiten (soziale Klasse, Rasse, Religion, Konfession oder Herkunft) aufweist, auffordert und dadurch eine Gefahr für den öffentlichen Frieden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft, wobei die Mindestfreiheitsstrafe 12 Monate sein muss.

(2) Wer einen Teil der Bevölkerung wegen seiner sozialen Klasse, Rasse, Religion, Konfession, seines Geschlechtes oder seiner Herkunft öffentlich erniedrigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu einem Jahr bestraft.

(3) Wer einen Teil der Bevölkerung wegen seiner religiösen Werte öffentlich erniedrigt und dadurch den öffentlichen Frieden stört, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu einem Jahr bestraft."

Paragraf 301 "Herabsetzung der türkischen Nation, des Staats der Republik Türkei, der Institutionen des Staates und seiner Organe" lautet:

"(1) Wer die türkische Nation, den Staat der Türkischen Republik, die Große Nationalversammlung der Türkei, die Regierung der Türkischen Republik und die staatlichen Justizorgane öffentlich herabsetzt, wird mit sechs Monaten bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft.

(2) Wer die Streitkräfte oder Sicherheitskräfte öffentlich herabsetzt, wird gemäß Abs. 1 bestraft.

(3) Meinungsäußerungen, die mit der Absicht der Kritik erfolgt sind, stellen keine Straftat dar.

(4) Die strafrechtliche Verfolgung wegen dieser Tat hängt von der Ermächtigung des Justizministers ab."

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Calling on the Minister of Justice to ensure that Barbaros Şansal is immediately and unconditionally released from pre-trial detention and charges against him are dropped.
  • Urging the Minister not to give permission for an investigation under Article 301.
  • Calling on him to ensure the repeal of paragraphs 2 and 3 of Article 216 and of Article 301 of the Penal Code.

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